Die Pilgergraefin
gewiss der Obrigkeit auch das „kleine Geheimnis“ verraten würde, mit dem er ihn erpresst hatte. Fieberhaft überlegte er. Wie sollte er Attenfels am Reden hindern? Seinem nichtswürdigen Dasein endgültig ein Ende setzen? Gewiss war der Mann an seinem Krankenbett von vielen Getreuen umgeben, sodass er ihn nicht einfach mit einem Kissen ersticken konnte. Er fingerte nach der Phiole, die er in der Tasche seines Wamses verborgen hatte und die ein starkes Gift enthielt. Wenn es ihm gelänge, Attenfels einen „stärkenden“ Trunk zu verabreichen …
Entschlossen schüttelte er die beiden Männer ab, die ihn am Eintreten hindern wollten, und stürmte in das Gemach.
„Kuno, lieber Freund!“, rief er. „Ich bin es, Lothar. Was ist geschehen? Wie geht es Euch?“
In diesem Moment geschah etwas Schreckliches. Der wie tot daliegende Baron öffnete sein gesundes Auge, hob den rechten Arm und seinen Oberkörper etwas an und deutete mit gekrümmtem Zeigefinger auf Lothar von Eschenbronn, der entsetzt zurückfuhr.
„Mö…r…mör…der“, krächzte er und spuckte einen Schwall dunkelroten Blutes aus. Danach sank er in die Kissen zurück und hauchte seine Seele aus.
12. KAPITEL
R obyn hatte seinen erschöpften Hengst Adomar, um ihn zu schonen, in den Stallungen des „Coq au Sud“ zurückgelassen und war zu Fuß zur Papstburg gegangen.
Zwar hatten ihm die Wachen dort ohne Weiteres Eintritt gewährt, als er seine Legitimation vorwies, indes war er nur bis zum Sekretär des Sekretärs Seiner Heiligkeit vorgelassen worden.
„Monsignore Petrocelli ist nicht anwesend“, hatte Pater Ignatius ihm verkündet. „Lasst mir nur Euer Sendschreiben da, und ich werde es getreulich weiterleiten.“
Robyn hatte den Kopf geschüttelt. Zwar schien ihm der Dominikaner durchaus vertrauenswürdig, indes hatte er Petrocelli außer der Botschaft des Königs ja auch noch eine mündliche Nachricht des Kardinalprimas an den Oberhirten zu überbringen, was er dem Pater jedoch nicht verraten durfte, da diese äußerst geheim und brisant war.
„Und wo befindet sich der Monsignore derweil?“
Pater Ignatius hatte sich darauf am kahlen Kopf gekratzt und offensichtlich nach einer diplomatischen Antwort gesucht. „Monsignore Petrocelli obliegt eine gewichtige Aufgabe, der er derzeit nachgeht.“
Robyn hatte zynisch den Mund verzogen, denn er wusste, dass der Privatsekretär kein Freund von Enthaltsamkeit war. Wahrscheinlich „oblag“ er in diesem Moment einer gewichtigen Hure und trug damit zum schlechten Ruf der geistlichen Herren in Avignon bei, die – vom einfachen Priester bis hin zum Kurienkardinal – den weltlichen Freuden zu jeder Tages- und Nachtzeit frönten.
„Und wann wird der Monsignore seine … gewichtige Aufgabe erfüllt haben?“, hatte er spöttisch gefragt und an der Miene des Dominikaners gesehen, dass dieser seinen Worten sehr wohl entnommen hatte, dass Robyn wusste, dass Petrocelli keineswegs in kirchlicher Mission, sondern in sehr weltlichen Angelegenheiten unterwegs war. Amüsiert dachte Robyn, dass Jérôme mit seiner babylonischen Hure gar nicht so falsch lag.
„Wie Ihr wisst, habe ich bedeutsame Nachrichten von König Charles zu überbringen, die keinen Aufschub erlauben.“
Wieder hatte sich der Dominikaner gekratzt, diesmal am Kinn. Ist der Sitz des Papstes denn nicht frei von Ungeziefer, hatte Robyn sich darauf gefragt, oder ist der Dominikaner noch immer verlegen, weil er genau weiß, was sein Vorgesetzter in diesem Augenblick treibt? Bedächtig hatte der Mönch geantwortet. „Ich denke, Monsignore Petrocelli wird Euch morgen zur Mittagsstunde anhören können. Zwar ist er ein viel beschäftigter Mann …“, erneutes Kratzen, diesmal an den Augenbrauen, „… doch da Ihr der Kurier des Königs seid, werde ich Euch eine Audienz verschaffen.“
„Zu gütig, Pater“, hatte Robyn sich bedankt und sich, als der Dominikaner das Kreuz schlug, kurz verneigt, bevor er sich aus dem kahlen Raum entfernt hatte. Anscheinend gehörte der Sekretär des Sekretärs des Heiligen Vaters nicht zu denen, die im Palast in Pomp und Pracht lebten.
Wenig später betrat er den Schankraum des „Coq au Sud“, wo ihm Joséphine bereits knicksend entgegenkam.
„Wie geht es meinem Knappen? War der Medicus bei ihm?“
„Ja, Chevalier, in der Tat. Erst vor wenigen Augenblicken ist Docteur Eusebius gegangen. Indes muss ich Euch sagen, dass es wohl nicht allzu gut um den jungen Mann steht. Der Docteur hatte eine
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