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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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vorgebrachte Anliegen wirkungsvoll unterstützt. Was ihm ein weiteres Mal bewiesen hatte, wie käuflich nicht nur die weltlichen, sondern sogar die geistlichen Herren waren. Nur allzu schnell waren sie bereit, ihre vermeintlichen Glaubenssätze und Überzeugungen über Bord zu werfen, sobald Gold, Privilegien oder stattliche Pfründe lockten. Wie oft hatte er dies am Königshof oder auf seinen Missionen schon erlebt. Natürlich gab es auch prinzipientreue Männer wie den Abt von Morcennes, der sich, obwohl ihm die Bischofswürde angetragen worden war, standhaft geweigert hatte, Avignon als immerwährende Papstresidenz anzuerkennen, und sich damit den Zorn des Herrschers und vieler kirchlicher Würdenträger zugezogen hatte.
    „Nun, Joséphine, lass es mich so ausdrücken. Der Monsignore ist ein Mann von Welt, und wenn man ihm die richtigen Argumente liefert, so ist er durchaus davon zu überzeugen, dass Belzebub blaue Augen hat und weiße Flügel trägt.“
    „Der Belzebub?“, flüsterte Joséphine erschrocken. „Aber der hat doch einen Pferdefuß und einen langen …“
    „Lass es gut sein, Joséphine“, unterbrach Robyn sie lachend. „Hauptsache, dein Pierre wärmt dir bald wieder das Bett.“
    Ein tiefer, traumloser Schlaf hatte Leonor wieder ein wenig zu Kräften gebracht, und so erschien ihr das Leben nicht mehr ganz so trüb und beschwerlich, als sie die Augen aufschlug und die Strahlen der Morgensonne erblickte, die durch das Geäst der Bäume auf die kleine Lichtung fielen.
    Tarras, der sie während der kalten Bergnacht gewärmt hatte, stand auf, streckte sich und trottete dann zu einem Baum, um das Bein zu heben. Auch Leonor verspürte das Bedürfnis, sich zu erleichtern, doch obwohl sie ganz allein mit dem Hund war, zog sie sich dafür hinter ein Gebüsch zurück.
    Schade, dass kein Bächlein über die Lichtung floss, denn sie hätte sich nur allzu gern gereinigt. So blieb ihr nur, etwas Wasser aus dem Lederschlauch über ihre Hände zu gießen und sich das Gesicht zu benetzen. Anschließend wickelte sie die Reste des gerösteten Murmeltiers aus dem Tuch, aß ein paar Bissen und teilte auch Tarras eine kleine Ration zu. Sie musste mit den wenigen Fleischbrocken haushalten, denn sie waren das Einzige, was sie zum Überleben hatte, wusste sie doch nicht, ob und wann sie eine menschliche Behausung erreichen und man ihr dort überhaupt Hilfe gewähren würde.
    Nach dem kargen Frühmahl, das sie mit einigen Schlucken Wasser herunterspülte, das indes nicht mehr frisch und erquickend schmeckte und von dem sie Tarras ein wenig in einen hohlen Baumstumpf füllte, schnürte sie erneut ihr Bündel. Unweit von ihr entdeckte sie auf der Lichtung einen kräftigen Stecken, der ihr beim Wandern, aber auch bei einem eventuellen Angriff von wilden Tieren nützlich sein konnte, und folgte dem kaum mehr sichtbaren Pfad, der sie aus dem Wäldchen hinaus weiter talabwärts führte.
    Während sie ausschritt, kehrten ihre Gedanken immer wieder zurück zu dem steinernen Grab ihrer getreuen Anna, die ihr das Leben gerettet hatte. Dann fragte sie sich kurz, was aus Pater Anselm und den anderen geworden war und ob sie sich jemals wieder begegnen würden. Und beim Gedanken an die Pilger erinnerte sie sich daran, wie es vor vielen Wochen dazu gekommen war, dass sie sich den Wallfahrern angeschlossen hatte. Womit ihr wiederum das Bild Konrads und des kleinen Konradin vor Augen stand, die beide noch leben könnten, wenn sie nicht …
    „Verzeiht mir“, flüsterte sie unter Tränen. Tarras schien ihren Kummer zu spüren, schmiegte sich kurz an ihre Beine und blickte mit seinen schönen gelbbraunen Augen, die sie beim ersten Mal in ihrer Verwirrung für die des Teufels gehalten hatte, treuherzig an. Sie strich ihm über den zottigen Kopf und fragte, ohne dass es ihr bewusst war, laut: „Wie kommst du eigentlich hierher in diese Einöde?“
    Tarras bellte, als wollte er ihr eine Antwort geben, aber das Rätsel, wie er in diese Bergeinsamkeit gekommen war, in der es keine Schafe zu hüten gab, blieb natürlich ungelöst.
    Nun, wie auch immer, dachte Leonor, ich bin froh, dass du da bist. So fühlte sie sich nicht mehr ganz so einsam, nachdem Anna von ihr gegangen war.
    Während sie weiter talwärts schritt, wobei der Stecken sich als durchaus nützlich erwies, kam ihr die Frage in den Sinn, wieso es in dieser menschenleeren Einöde überhaupt einen Pfad gab. Ließ er doch eindeutig darauf schließen, dass er in gewissen Abständen

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