Die Pilgergraefin
nachdem Docteur Eusebius ihm nach einigem Kopfschütteln erlaubt hatte, vom Krankenlager aufzustehen, auf das er sich jedoch zur weiteren Schonung unmittelbar nach der Mahlzeit wieder begeben sollte. Streng hatte der Medicus den Chevalier ermahnt, dem Knappen Ruhe angedeihen zu lassen, sofern er nicht in Kauf nehmen wollte, dass dieser zum Krüppel würde. Robyn hatte genickt, denn das Wohl des Sohnes seiner Cousine Géraldine lag ihm selbstverständlich am Herzen.
Nur zu gerne hatte der Medicus weitere Münzen von ihm in Empfang genommen und versprochen, am nächsten Tag mit einem neuen Elixier wiederzukehren und nach dem Kranken zu sehen.
Nun saß Jérôme mit seinem Ritter – und überraschenderweise auch der Wirtsfrau – am Tisch in der leeren Gaststube und ließ sich den knusprigen Kapaun, das frische Brot und die eine oder andere Karotte schmecken. Möhren und anderes Gemüse waren nicht gerade seine Leibspeise, er hielt das Grünzeug eher für Weiberkram. Dennoch war es das beste Mahl, das er seit Langem in den Magen bekommen hatte. Vergnügt strich er sich über den Leib und zuckte sofort zusammen, denn ob der leckeren Mahlzeit hatte er seine gebrochenen Rippen vollends vergessen.
„Ich denke, du solltest dich nun wieder nach oben begeben und dich ausruhen, damit du genesen bist, sofern wir die Reise fortsetzen müssen. Ich habe derweil etwas mit Madame Joséphine zu besprechen, was ihren Mann betrifft.“
Zwei gänzlich verschiedene Gesichtsausdrücke konnte Robyn beobachten, während er diese Worte sprach. Zum einen Jérômes schmerzliches Zusammenzucken bei der Aussicht auf einen weiteren langen Ritt und zum anderen das hoffnungsvolle Aufleuchten in den Augen der Wirtin. Sofern mich meine Reise weiter nach Mailand zum Herzog Visconti und vielleicht sogar gen Rom führen wird, dachte Robyn, werde ich mich wohl nach einem neuen Knappen umsehen müssen, denn diese Anstrengungen kann ich dem Jungen nicht zumuten. Er hatte ihn schon viel zu sehr gefordert.
Nachdem er Jérôme zurück in die Kammer geholfen und überwacht hatte, dass der Jüngling die ihm verordnete Arznei einnahm, begab er sich wieder nach unten, wo Joséphine ihn bereits aufgeregt und gespannt erwartete. Er ließ sich am Tisch nieder, griff zu dem Pokal, der diesmal guten Rotwein enthielt, da er Joséphine auch noch Geld gegeben hatte, ein Fässchen davon zu kaufen.
Nun wollte er die arme Frau nicht länger warten lassen, die ihn so gebannt und hoffnungsvoll ansah, und ihr das Ergebnis seines Gesprächs mit Monsignore Petrocelli berichten.
„Joséphine, ich habe, so glaube ich, gute Nachrichten für dich.“
Die Wirtsfrau griff nach ihrem Schürzenzipfel und tupfte sich die Augen aus.
„Falls der Monsignore sich so verhält, wie ich es annehme“, fuhr Robyn fort, „wird dein Ehemann noch in dieser Woche aus dem Kerker freikommen.“
Robyn hatte einen Freudenschrei erwartet, doch die Wirtin brach geradezu in einen Weinkrampf aus. Verstehe doch einer die Weiber, dachte er und tätschelte Joséphine die Hand.
„Hast du mich verstanden? Er wird freigelassen. Monsignore Petrocelli muss nur noch … hm … einigen Fäden ziehen, und dann kannst du deinen Pierre wieder in die Arme schließen.“
Nun endlich sprang Joséphine mit einem Jubelschrei auf, warf sich an die Brust des Chevaliers und umklammerte mit beiden Armen seinen Nacken.
Fehlt nur noch, dass sie mich küsst, dachte Robyn und erinnerte sich an die feuchten Lippen der Hofdame, die einmal ein Minnelied auf ihn verfasst und ihm in einem dunklen Gang des königlichen Palastes um den Hals gefallen war. Und schon spürte er den Mund Joséphines auf seiner Wange.
„Merci, Chevalier“, flüsterte sie ein übers andere Mal. „Ihr seid nicht nur der schönste, sondern auch der beste Ritter auf Gottes Erde!“
Sanft, aber nachdrücklich schob Robyn sie von sich. „Spare dir deine Küsse für deinen Pierre. Er wird sich freuen, dich wieder in den Armen halten zu dürfen nach der langen Zeit der Enthaltsamkeit.“
Verlegen nahm Joséphine wieder auf ihrem Stuhl Platz. „Doch nun verratet mir, wie es Euch gelungen ist, den Monsignore von der Unschuld meines Mannes zu überzeugen.“
Robyn räusperte sich und dachte kurz nach. Sollte er Joséphine die Wahrheit sagen? Viel rhetorische Kunst war nicht nötig gewesen, um den Prälaten zu „überzeugen“. Ein prall gefülltes Ledersäckchen mit Silbermünzen hatte seine eigene Sprache gesprochen und das von ihm
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