Die Pilgergraefin
gab Leonor zu. „Aber niemals hätte ich erwartet, dass Schwester Clara mich niederschlagen und mich in den Abgrund stürzen würde. Zumal ich ihr kurz zuvor noch das Leben gerettet und sie aus dem Sumpf gezogen habe. Was für eine undankbare Person!“
Ungläubig schüttelte Robyn den Kopf. „Wie genau ist das denn geschehen?“
Kurz berichtete Leonor von ihrer Begegnung mit der Person, die sich Schwester Clara nannte. Sie beendete ihre Schilderung mit den Worten: „Plötzlich hielt die Nonne auf diesem Weg ihren Esel an und sagte, sie müsse sich erleichtern. Sie saß ab und verschwand im Wald. Ich hielt derweil den Esel am Zügel. Bald darauf näherten sich Schritte von hinten. Ich blickte mich kurz um und sah Schwester Clara, die etwas hinter ihrem Rücken verbarg. Dann holte sie auch schon aus und hieb mir einen dicken Ast über den Schädel. Ich sank zu Boden und verlor die Besinnung.“ Leonor verzog das Gesicht. „Sie hat mir die Geldkatze geraubt und mich in den Abgrund gestürzt.“
Sie fasste sich an den Kopf, wo sich eine dicke Beule gebildet hatte. Die Wunde an der Stirn schmerzte zwar noch, blutete indes nicht mehr. Wahrscheinlich würde eine Narbe zurückbleiben, aber was zählte das schon, wenn man einen solchen Sturz überlebt hatte? Und wozu gab es Hauben und Gebende, mit denen man eine Narbe geschickt verdecken konnte? Wenn sie denn in diesem Leben jemals wieder eine Haube tragen würde …
„Eine Nonne?“, fragte Robyn verblüfft. „Eine Ordensfrau hat dich ausgeraubt? Ich warne dich erneut, Junge, tische mir keine Märchen aus!“
Leonor nickte. „So glaubt mir doch, Chevalier. In der Tat, so ist es geschehen. Sie behauptete, eine Klosterschwester zu sein, inzwischen frage ich mich allerdings, ob es nicht ein Strauchdieb war, der sich verkleidet hatte. Indes verstand sie – oder er – es sehr gut, ein hilfloses altes Weiblein zu mimen. Sonst wäre ich wohl vorsichtiger gewesen.“
Robyn grinste. Auf seinen vielen Reisen waren ihm schon die absonderlichsten Gestalten begegnet. Nie jedoch ein Wegelagerer im Habit einer Nonne. „Berichte mir genauer, was vorgefallen ist, Leon.“
Erneut erzählte Leonor ihm von ihrer Begegnung mit der vermeintlichen Schwester Clara, einem verhutzelten Nönnchen, das auf einmal die Kraft eines Mannes aufgebracht hatte.
Ungläubig schüttelte Robyn den Kopf. Doch die klare, direkte Art, in der der Jüngling die Geschichte wiederum vortrug, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln, überzeugte ihn davon, dass er die Wahrheit sprach.
„Zu dumm nur, dass Tarras ein Stück des Weges vorausgelaufen war, sonst hätte er mir bestimmt beigestanden.“
„Das hat er schlussendlich ja auch getan, denn er hat mich auf dich aufmerksam gemacht“, erwiderte Robyn.
„Ja, und Ihr habt mich aus dem Abgrund geborgen. Nochmals meinen Dank, Chevalier. Doch sagt mir, was führt Euch, einen französischen Ritter, hierher?“
Robyn überlegte, ob er dem Knappen von seiner Mission erzählen sollte. „Ich bin als Kurier von Avignon nach Rom unterwegs“, sagte er schließlich zurückhaltend.
„Dann vermute ich, dass Ihr im Auftrag des Königs von Frankreich so weit weg von der Heimat weilt. Geht es etwa um das Exil des Papstes?“
Recht gewitzt, der Bursche, stellte Robyn fest. „Wie kommst du darauf?“
„Nun, Ihr sagtet soeben, dass Ihr von Avignon nach Rom reitet. Da liegt die Vermutung nahe. Denn vom Exil der Päpste weiß ja die ganze Christenheit.“ Leonor konnte nicht umhin, ein wenig mit dem Wissen zu glänzen, das sie sich während der Unterrichtsstunden ihres Bruders angeeignet hatte. „Die sogenannte Babylonische Gefangenschaft der Päpste in Avignon dauert nunmehr bereits seit dem Jahre 1309 an. Papst Clemens V., ein Landsmann von Euch, Sieur, verlegte selbst seinen Sitz nach Frankreich, denn er stand völlig unter dem Einfluss des damaligen Königs Philipp IV. Doch wollten sich andere Herrscher, die römischen Adelsfamilien und viele Kardinäle nicht mit Avignon als Papstresidenz abfinden, sodass es immer wieder zu Verhandlungen kam, den Papstsitz zurück nach Rom zu verlegen, und …“
Robyn unterbrach sie. „Ich bin beeindruckt, Leon. Woher weißt du das alles?“
„Ach Chevalier, das habe ich im …“ Sie unterbrach sich, denn sie hatte gerade sagen wollen, dass sie dies in den Unterrichtsstunden ihres Bruders gelernt hatte. „Das hat mir mein Herr berichtet. Ich weiß noch viel …“
Erneut fiel Robyn ihr ins Wort. „Das glaube
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