Die Pilgergraefin
Rest seiner Reise per Schiff zurückzulegen, zumal ein einzelner Reiter auf dem Weg durch die miteinander verfeindeten Fürstentümer und Grafschaften Italiens oft in gefährliche Situationen geraten konnte. Und genau das konnte und wollte er sich nicht erlauben.
Nun befand er sich also auf dem Weg nach Genua, wo er sich gen Süden einschiffen wollte, um dann in der Hafenstadt Ostia, unweit von Rom, wieder an Land zu gehen und die kurze restliche Strecke erneut zu Pferd zurückzulegen.
Im Stillen verfluchte er inzwischen die Klüngeleien der weltlichen und geistlichen Obrigkeit, die zu seiner jetzigen Lage geführt hatten und ganze Heerscharen von Kardinälen, Privatsekretären und Kurieren auf Trab hielten. Doch wenigstens sah es nun ganz danach aus, als würde Papst Gregor XI. in absehbarer Zeit aus dem französischen Exil in Avignon nach Rom zurückkehren.
In Gedanken versunken, hatte Robyn nicht so recht auf den Weg geachtet. Plötzlich drang lautes Gebell an seine Ohren, und hinter einem Gebüsch sprang ein riesiger Hund hervor. Erschreckt bäumte sich Adomar auf, und Robyn musste all seine Reitkünste aufbieten, um das mächtige Tier unter Kontrolle zu halten. Schon wollte er zum Schwert greifen, um den grauen Riesen abzuwehren, da fiel ihm das seltsame Gebaren des Hundes auf. Das Tier lief vor und zurück, dann ein Stück den Abgrund zur Linken der Straße hinab, tauchte wieder auf und schien ihm sogar mit dem Kopf zu bedeuten, ihm den Abhang hinab zu folgen.
Was soll ich tun? überlegte Robyn. Einerseits war Eile geboten, um so bald wie möglich nach Genua zu gelangen, andererseits kam ihm das Verhalten des Hundes so eindringlich vor, dass er vermutete, das Tier wolle ihn auf einen Menschen in Gefahr hinweisen.
Seufzend schwang er sich aus dem Sattel, gebot seinem gut trainierten Adomar sowie dem Packpferd, auf ihn zu warten, begab sich an den Rand der Straße und blickte den Abhang hinunter. Allerlei Gesträuch, das ihm die Sicht versperrte, wuchs auf dem Hang. Schließlich erblickte er etwas, das wie ein Mensch aussah. Ob noch Leben in ihm steckte, vermochte er jedoch nicht auszumachen.
Wenn er dort hinabsteigen und den Verletzten – oder Toten – bergen wollte, so benötigte er ein Seil. Also begab er sich zu seinem Packpferd, um eines zu holen. Das eine Ende schlang er um seine Mitte, das andere um den Stamm einer Pinie. Dann begann er vorsichtig mit dem Abstieg.
Als er den Verletzten endlich erreicht hatte, fluchte er angesichts dessen blutüberströmten Gesichts. Kam für den jungen Mann jede Hilfe zu spät? Doch dann erinnerte er sich an die in Turnierkämpfen verletzten Ritter, die oft heftig blutende Kopfwunden davongetragen hatten, welche sich später aber als weit weniger gefährlich herausgestellt hatten, als sie aussahen.
Vorsichtig hob er den Burschen hoch – parbleu , der bestand ja nur aus Haut und Knochen – und begann mit dem Aufstieg. Einmal drohte er, den Halt zu verlieren und abzurutschen, und war froh, dass er sich mit dem Seil gesichert hatte. Schließlich erreichte er die Kante des Abhangs, legte den Verletzten behutsam am Straßenrand ab und schwang sich dann selbst noch das letzte Stückchen empor, wo er von dem riesigen grauen Hund freudig begrüßt wurde.
Sogleich wollte sich das Tier daranmachen, das Gesicht seines Herrn abzulecken, doch Robyn scheuchte es weg, um die Stirnwunde in Augenschein zu nehmen. Eine leichte Kruste hatte sich bereits darüber gebildet, und der Blutfluss ließ nach.
Robyn holte aus seiner Satteltasche den Wasserschlauch und ein Linnentuch und begann dann, die Wunde zu säubern. In der Tat, die starke Blutung hatte gefährlicher ausgesehen, als die Verletzung in Wirklichkeit war. Ein Stöhnen des Jünglings verriet ihm zudem, dass dieser noch unter den Lebenden weilte, als er auch schon die Lider aufschlug.
Veilchenblaue Augen … Habe ich jemals einen Mann mit einer solchen Augenfarbe gesehen, fragte sich Robyn.
„Wo bin ich?“, flüsterte der Verunglückte, dessen Lippen immer noch blass und blutleer waren. „Seid Ihr ein Engel und gekommen, mich ins Paradies zu geleiten?“
Oje, hatte der Gestürzte etwa den Verstand verloren? „Du bist in Sicherheit, mein Freund“, versicherte Robyn dem Verletzten eilig, der, seiner Kleidung nach zu urteilen, wohl der Knappe eines Ritters sein musste. „Ich bin Robyn de Trouville und werde mich um dich kümmern. Sei unbesorgt, mein Junge.“
Als vertraue er ihm vollkommen, schloss der
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