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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Mittler
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Bursche die Augen und ließ es zu, dass er ihm das restliche Blut aus dem Gesicht wischte. Sodann tastete Robyn Arme und Beine des Jungen ab. Als er ihn auch auf gebrochene Rippen untersuchen wollte, schob er ihn allerdings weg. Nun gut, befand Robyn, anscheinend hat er sich nichts gebrochen und bedarf nur dringend einer stärkenden Mahlzeit. Also holte er aus seinen Provianttaschen das Beste hervor, was er mit sich führte, und griff dann wieder nach dem Wasserschlauch.
    Er half dem Jüngling, sich in eine sitzende Position zu bringen, ließ ihn seinen Durst stillen und bot ihm dann von den mitgeführten Speisen an. Der Knabe aß nur spärlich, indes zeigte der Hund einen guten Appetit und verschlang eine ganze Fleischwurst.
    Nun, sei es ihm gegönnt, dachte Robyn, immerhin hat das gute Tier mich auf seinen verunglückten Herrn aufmerksam gemacht.
    „Bist du in der Lage zu reiten?“, fragte er den Jüngling. „Dann bringe ich dich zu deinem Ritter, Knappe“, sagte Robyn auf Italienisch. Als der Junge ihn nur fragend anblickte, wiederholte er den Satz auf Französisch. „Nun, wie sieht es aus, Knappe?“
    Knappe  – er hatte sie mit Knappe angesprochen, und das in ihrer Muttersprache. Er hielt sie also tatsächlich für einen Jungen – und den Knappen eines Ritters. Ein hoffnungsvoller Gedanke keimte in ihr auf …
    Leonor nickte und erwiderte auf Französisch, wobei sie versuchte, ihrer Stimme einen möglichst tiefen Klang zu verleihen: „Ja, Chevalier, ich denke schon, dass ich reiten kann. Aber zu meinem Ritter könnt Ihr mich nicht bringen.“
    Robyn sah den Jungen verblüfft an, und wieder fiel ihm die ungewöhnliche Augenfarbe auf. Unter der Kappe des Jünglings lugten ein paar blauschwarze Strähnen hervor.
    „Wie heißt du, Knappe? Und was ist mit deinem Herrn geschehen?“
    Leonor überlegte kurz, dann sagte sie: „Mein Name ist Leon, Chevalier.“ Das klang ganz ähnlich wie Leonor und ließe sie gewiss reagieren, wenn man sie so ansprach. „Was den Chevalier de … Riberac betrifft, meinen Herrn, so vermag ich nicht zu sagen, wo er sich aufhält und ob er überhaupt noch unter den Lebenden weilt.“
    Auch wenn Robyn in Eile war und seine Reise so bald wie möglich fortsetzen wollte, erfasste ihn nun doch die Neugier. „Wie kam es denn dazu, dass du und dein Ritter getrennt wurdet? Und seit wann treibst du dich allein in der Weltgeschichte herum, Leon?“
    Was sollte sie ihrem Retter erzählen? Auf die Schnelle fiel Leonor nichts anderes ein, als ihm eine leicht veränderte Version ihrer eigenen Erlebnisse während der Pilgerfahrt zu berichten. Doch sie dichtete noch hinzu, dass der Chevalier de Riberac nach einem Gelage betrunken im Streit seinen besten Freund erschlagen hatte – eine Begebenheit, die sich tatsächlich vor vielen Jahren einmal auf der Burg ihres Vaters abgespielt hatte. Wenn dies auch nicht absichtlich geschehen war, so hatte die Tat das Gewissen des Ritters doch so sehr belastet, dass er beschlossen hatte, auf einer Pilgerfahrt nach Rom Buße zu tun.
    Leonor schilderte, wie sich plötzlich vor ihr die Nebelwand aufgetan hatte und sie so von der Pilgergruppe und dem Chevalier de Riberac getrennt worden war. Die getreue Anna musste sie natürlich verschweigen.
    Ungläubig musterte Robyn den mageren Burschen. „Und seitdem hast du dich allein durchgeschlagen und das Gebirge ohne Führer überwunden? Das kann ich nicht glauben, Leon, und wenn du mir Lügenmärchen auftischst …“
    „Nein, nein, Chevalier. Ich spreche die Wahrheit. Mit Gottes Hilfe ist es mir gelungen, bis hierher in den Norden des Welschlandes zu gelangen. Und natürlich dank Tarras. Er hat mir das Leben gerettet.“ Ihr fiel ein, dass sie dem Chevalier ebenfalls ihr Leben verdankte, und drückte ihm die Hand. „Habt Dank, Monsieur de Trouville. Ohne Euch wäre ich wahrscheinlich des Todes gewesen.“
    „Keine Ursache, Leon. Dein vierbeiniger Begleiter hat mich auf dich aufmerksam gemacht.“
    Als wüsste er, dass man von ihm sprach, drängte Tarras sich an seine Herrin.
    Liebevoll strich Leonor dem Tier über den zottigen Kopf. „Ja, Tarras ist ein ganz besonderer Hund, klug und treu und …“
    Robyn unterbrach den jungen Mann. „Doch wie ist es dir gelungen, in den Abgrund zu stürzen? Immerhin ist der Weg hier recht breit.“ Er wies auf die Straße, auf der gut drei Reiter nebeneinander Platz fanden.
    „Es war wohl ziemlich dumm von mir, auf der rechten Seite des Weges zum Abhang hin zu gehen“,

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