Die Pilgergraefin
mithalten kann, müssen wir ihn zurücklassen.“
Fast wäre Leonor dem Ritter um den Hals gefallen, erinnerte sich jedoch rechtzeitig, dass dies einem Knappen schlecht anstand.
„Ich danke Euch, Chevalier. Ihr werdet sehen, dass Ihr auf der Welt keine besseren und treueren Begleiter finden werdet als Tarras und mich.“ Der Hund machte eine Bewegung mit dem Kopf, die fast einem Nicken gleichkam, und Robyn musste ein Grinsen unterdrücken. Eine interessante Reisegesellschaft, die sich da formiert hatte: der Kurier des Königs, ein magerer Knappe mit veilchenblauen Augen und ein riesiger zottiger Hund, der die Sprache der Menschen zu verstehen schien …
„Wohlan denn, Leon, schwinge dich auf dein Ross. Ich habe viel Zeit verloren, die es nun aufzuholen gilt. Auf eine gute gemeinsame Fahrt, und möge der Herr unsere Wege beschützen.“
„Amen“, schloss Leonor und kletterte gewandt auf den Rücken des Packpferdes, obwohl dieses keinen Sattel trug.
Robyn betrachtete seinen neuen Knappen anerkennend. Nun, vom Reiten scheint er etwas zu verstehen, dachte er – ganz im Gegensatz zu der fülligen Kurtisane, die sich nunmehr wohl weitere glitzernde Steine verdiente, indem sie die Herren im Jagdschloss des Herzogs mit ihren „Reitkünsten“ erfreute …
20. KAPITEL
E inen halben Tagesritt nachdem Robyn seinen neuen Knappen gerettet hatte, warf er ihm wieder einmal einen prüfenden Seitenblick zu und stellte fest, dass der Junge sich gut auf dem Pferd hielt. Den Sturz schien er ohne größere Blessuren überstanden zu haben, die Kopfwunde hatte sich beim Reiten nicht wieder geöffnet, kein frisches Blut war ausgetreten, und insgesamt machte der Junge den Eindruck, als ob alles in Ordnung mit ihm sei.
Gerade ritten sie durch eine flache, mit wenig Gras bewachsene Senke, nicht unähnlich einem Turnierplatz, als ihm eine Idee kam.
„Leon, da ich nun dein neuer Ritter bin, steht es mir zu, deine Fähigkeiten zu überprüfen. Außerdem ist es meine Pflicht, deine Ausbildung als Schildknecht zu vervollkommnen. Komm, zeige mir, was der Chevalier de Riberac dir beigebracht hat.“
Erschreckt verhielt Leonor das Pferd. Was erwartete Monsieur de Trouville nun von ihr? Sollte sie sich etwa im Schwertkampf hervortun? Davon hatte sie keine Ahnung! Zwar hatte sie als Kind gelegentlich mit ihrem Bruder heimlich mit selbst gebastelten Holzschwertern gekämpft. Doch von echter Schwertkunst verstand sie nichts, und zudem waren die riesigen Schwerter viel zu schwer für den Arm einer Frau. Demnach war schon jetzt der Augenblick der Wahrheit gekommen, und der Chevalier würde erkennen, dass sie kein Schildknecht, sondern eine Frau war.
Sie fasste sich an den Kopf und sagte: „Sehr gern, Sieur, würde ich Euch eine Probe meines Könnens geben. Indes brummt mir noch immer der Schädel von dem Sturz. So könntet Ihr einen falschen Eindruck von meinen Fähigkeiten erhalten.“
Das sah Robyn ein. „Du hast recht, Leon. Für einen Schwertkampf ist es noch zu früh. Doch was hältst du von einer Runde Messerwerfen?“
Kurz dachte Leonor nach. Mit dem Wurfmesser hatte sie sich des Öfteren unbemerkt von den Eltern mit ihrem Bruder gemessen – und nicht schlecht dabei abgeschnitten. In dieser Disziplin drohte ihr wohl keine Gefahr, entlarvt zu werden.
„Wohlan denn, Chevalier, lasst uns eine Probe machen“, stimmte sie zu und sprang vom Pferd. Zwar taten ihr nach dem Sturz und dem zügigen Ritt alle Knochen weh, doch sie wollte auf keinen Fall, dass der Ritter sie für verweichlicht hielt – oder gar herausfand, dass sie eine Frau war.
Robyn stieg von seinem Hengst und machte sich an den Satteltaschen zu schaffen. Schon bald hatte er mehrere Messer mit hübsch verzierten Griffen hervorgeholt. Drei behielt er für sich, drei reichte er Leonor.
„Wir wollen mit dem dicken Baum dort drüben anfangen“, sagte er und deutete auf eine Eiche, die man kaum verfehlen konnte. „Siehst du das herzförmige Muster in der Rinde? Das soll unser Ziel sein.“ Kaum hatte er ausgesprochen, schleuderte er auch schon sein Wurfmesser und traf mitten in die von ihm bezeichnete Stelle.
Leonor war beeindruckt von seiner Schnelligkeit und Präzision. Würde sie da mithalten können? Sie fasste das Ziel ins Auge, hob den rechten Arm und warf das Messer, wie ihr Bruder es ihr gezeigt hatte. Gut zwei Handspannen neben dem des Chevaliers blieb es in der Rinde stecken.
Robyn hatte die Wurftechnik seines Knappen genau studiert. Nicht schlecht,
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