Die Pilgerin von Montserrat
dass sie etwas im Schilde führen.«
»Das ist gut möglich«, antwortete Froben. »Bei uns wurde gestern Nacht ein Mann ermordet, der Torwächter.«
»Davon habe ich schon gehört. Ihr meint …«
»Ich kann nichts Näheres dazu sagen. Wir haben einen Auftrag zu erfüllen, und sie wollen uns möglicherweise daran hindern.«
Sie hatten inzwischen ihre Mahlzeit beendet. Froben legte ein paar Münzen auf den Tisch.
»Gott schütze Euch auf Eurem Weg«, sagte der Wirt.
Froben und Teresa passierten den Weiler Tuttlingen und wandten sich bald darauf nach Norden. Sie ritten durch eine weite, fruchtbare Ebene, das Neckartal. Im Westen sah Teresa die dunkle Silhouette der Vogesen. In Rottweil, einer alten Stadt mit vielen Türmen und trutzigen Kirchen, übernachteten sie in einer Herberge. Tags darauf ritten sie auf einem schmalen, gewundenen Weg ins Waldgebirge hinein. Es war mühselig, auf dem schmalen Pfad zu reiten, der immer wieder durch einen reißenden Bach führte oder unter tiefhängenden Tannenzweigen verschwand. Teresa war in Gedanken versunken. Vor dem inneren Auge sah sie ihre Vorfahren, wie sie auf das Kreuzfahrerheer warteten. Endlich war es angekommen, es mussten fast hunderttausend Mann sein, die sich unter der Führung Gottfrieds von Bouillon langsam näherten. Gottfried, ein noch junger Mann, mit einem hellen Panzer und Kettenbeinlingen bekleidet, darauf das rot-orange Kreuz. In Siegerpose ritt er dem Heer voran. Fast alle hatten sich ein solches Kreuz auf ihre Rüstungen geheftet. Auch Friedrich und Albrecht trugen dieses Zeichen, das sie immer daran erinnern würde, warum sie sich dieser Wallfahrt angeschlossen hatten.
»Anhalten!«, befahl Froben mit unterdrückter Stimme. Teresa schreckte zusammen. Sie durchquerten gerade eine tiefe Schlucht,deren Grund im Schatten lag. Ein Stück weiter unten floss ein murmelnder, klarer Bach. Teresa blickte hinauf zur Spitze der farn- und moosbewachsenen Felsen. Sie erschrak, als hätte ein Blitz sie durchfahren. Dort oben standen unbeweglich zwei Reiter und blickten zu ihnen herunter. Sie waren in helle Gewänder gehüllt, auf denen Kreuze prangten. Waren das vielleicht … die Geister von Friedrich und Albrecht?
Du hast eine zu lebhafte Vorstellungskraft, hatte ihre Mutter immer gesagt .
Im nächsten Augenblick waren die beiden Reiter verschwunden.
Sind sie überhaupt da gewesen? fragte Teresa sich, doch kaum hatte sie das zu Ende gedacht, ertönte ein Rumpeln von der Spitze der Felsen, und sie sah mit schreckgeweiteten Augen, wie zwei Felsbrocken in einer Lawine aus Geröll donnernd den Felsen herabstürzten. Sie krachten auf den Weg, rissen die beiden Hakenschützen um und begruben sie unter sich. An der Stelle, an der die Brocken heruntergekommen waren, stieg rötlicher Staub auf. Ihre Pferde wieherten laut und stiegen mit den Vorderbeinen in die Luft. Teresa und ihr Vater hatten Mühe, sie unter Kontrolle zu bekommen.
Dann war es still, selbst die Vögel hatten ihren Gesang eingestellt. Froben erhob sich, klopfte sich den Schmutz von der Kleidung und half seiner Tochter beim Aufstehen. Teresas Knie zitterten heftig, ihre Zähne schlugen aufeinander.
»Dieser Anschlag galt nicht unseren beiden treuen Männern«, sagte Froben. »Jetzt müssen wir schauen, ob den armen Unglücklichen noch zu helfen ist.«
Mit vereinten Kräften versuchten sie, einen der Felsbrocken beiseitezurollen, doch vergebens. Die Waden der beiden, noch bedeckt mit dem Kettennetz, schauten unter dem Stein hervor, aber sie bewegten sich nicht mehr. Froben nahm ein leinenes Taschentuch vom Gürtel und schnäuzte sich. Teresa schluckte. Die Tränen liefen ihr über die Wangen.
»Es galt uns beiden, nicht wahr? So wie es schon auf Wildenberg uns gegolten hat.«
»Dir galt es nicht«, erwiderte ihr Vater. »Es könnte auch ein natürliches Ereignis gewesen sein. Aber das glaube ich nicht.«
»Hast du die beiden Reiter da oben gesehen?«, fragte sie.
»Was für Reiter? Nein, ich habe nichts gesehen. Aber mag sein, dass du recht hast. Das alles muss mit dem Pergament zusammenhängen. Warum nur habe ich dich mit hineingezogen? Ich hätte dich zu Hause lassen sollen.«
»Ach, Vater.« Teresa berührte seine Hand. »Unser Schicksal ist untrennbar miteinander verbunden. Hast du nicht oft gesagt, ich solle die Chronik auf jeden Fall zu Ende führen, selbst, wenn dir einmal etwas zustieße?«
»Ja, das habe ich, Teresa.«
Sie saßen auf, und es gelang ihnen mit Müh und Not, die
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