Die Pilgerin von Montserrat
Wind davon bekommen zu haben«, meinte ihr Vater und zwirbelte sich den Schnurrbart. »Aber wir haben ja noch die Abschrift. Ich hoffe, du hast sie gut verwahrt.«
Teresa schaute sich vorsichtig um, als könne jemand ihr Gespräch belauschen.
»Jetzt fällt es mir wieder ein.« Sie senkte die Stimme. »Ich habe sie in meinem Zimmer versteckt. Als hätte ich geahnt, was passieren würde.«
»Schon deine Mutter bewunderte deine Fähigkeit, Ereignisse vorauszusehen«, versetzte Froben. »Eine Fledermaus hat diesen schlimmen Abend eingeleitet, und wir haben gesehen, wie er endete. Aber lasst uns jetzt schlafen, wir haben alle eine Menge durchgemacht.«
»Was sollen wir tun, Vater?«, drängte Teresa.
»Sobald die Beerdigung vorüber ist, werde ich alles Nötige veranlassen, um zu dem Kloster zu reiten und Nachforschungen über diesen Kandelaber anzustellen.«
»Ich möchte dich begleiten.«
»Das ist viel zu gefährlich für ein junges Mädchen. Ich werdedich, wenn ich aufbreche, sicher in der Obhut von Ursula und den Mägden wissen.«
»Aber heute ist jemand ins Haus eingedrungen, hat dich niedergeschlagen und Wilhelm getötet! Willst du mich angesichts solcher Gefahren hier zurücklassen? Bedenke, es gibt noch die Abschrift des Briefes, die ich gemacht habe.«
»Du bist ein kluges Kind, Teresa, aber ich fühle mich heute nicht mehr in der Lage, eine Entscheidung darüber zu treffen. Morgen ist auch noch ein Tag.«
In ihrem Zimmer nahm Teresa die Abschrift des Pergamentes an sich und steckte sie in die Innentasche ihres Mantels. Sie würden sie gewiss noch brauchen.
3.
Über der Wiese gegenüber Burg Wildenberg wölbte sich ein durchsichtig blauer Septemberhimmel, in dem einzelne Wolken segelten. Der Wind war abgeflaut, aber die Spuren des nächtlichen Sturmes waren nicht zu übersehen. Abgebrochene Äste und gelb verfärbte Blätter lagen auf dem Boden, und auf dem Weg hatten sich Regenpfützen gebildet. Die Familien des Burgherrn und des Torwächters, das Gesinde und ein paar Leute aus dem Dorf standen um das offene Grab versammelt. Der Geistliche in schwarzer Soutane, der auch sonst die Messen in der Burgkapelle las, sprach über das Leben Wilhelms, von seiner Treue zur Herrschaft und seiner Fürsorge für seine Familie. Frau und Kinder schluchzten laut.
Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.
Die Anwesenden sangen ein Lied, dann wurden die sterblichen Überreste Wilhelms in einem grob gezimmerten Sarg in die Erde gelassen. Teresa konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Solange sie sich erinnern konnte, war Wilhelm bei ihnen Torwächter gewesen. Sie ergriff eine Handvoll Erde und warf sie in das Grab. Das dumpfe Geräusch hallte in ihren Ohren nach.
Im Burghof war auf Tischen ein einfaches Mittagsmahl hergerichtet. Gerade noch waren die Menschen still und andächtig gewesen, jetzt schwatzten sie wie eine Herde von Elstern, während sie sich auf den Bänken niederließen. Ursula schöpfte Suppe in die Zinnteller und schnitt Brot. Teresa saß zwischen Froben und Kathrin, ihrer Magd. Die Sonne wärmte ihren Kopf, den sie mit einer schwarzen Haube bedeckt hatte. In einer Linde, die einen Teil ihres Laubes schon eingebüßt hatte, hockte ein Rabe. Teresa war es, als würde er zu ihr herüberschauen. Er krächzte misstönig underhob sich flügelschlagend in die Lüfte, wo sich ihm andere zugesellten. Der Rabe war ein Bote aus der Unterwelt, er verkündete Unglück und Tod.
»Euer Vater hat uns gesagt, dass Ihr heute Nachmittag noch aufbrechen wollt«, hörte sie die Stimme von Kathrin. »Ursula und die Diener versuchten ihn wegen seiner Wunde am Kopf zurückzuhalten, aber Ihr kennt ihn ja, er lässt sich von niemandem was sagen.«
Teresa schreckte auf, so sehr war sie in Gedanken versunken gewesen.
»Heute Morgen hat er mir gesagt, dass ich ihn begleiten darf«, gab sie zurück. »Ich denke, in ein, zwei Stunden können wir aufbrechen.«
Ein Blick zum Himmel zeigte ihr, dass das Wetter freundlich sein würde.
Teresa hatte früh reiten gelernt. Oft dachte sie, sie müsste ihrem Vater den Sohn ersetzen, den er sich so sehnlich gewünscht hatte. Auch sein Unterricht im Rechnen, Lesen, in Grammatik, Latein und Griechisch entsprach seinem Ehrgeiz, einen gebildeten Menschen aus ihr zu machen. Andere, weiblichere Betätigungen wie Sticken und Nähen gingen ihr nicht so leicht von der Hand. Nur das Kochen, das Sammeln von Wildkräutern und Beeren, das Zubereiten und
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