Die Pilgerin von Montserrat
bald zu schweren Kämpfen mit den Seldschuken kam. Am 6. Mai des Jahres 1097 kamen wir mit unserem Heerführer Gottfried von Bouillon vor der Stadt Nikaia an. Für den Fürsten und die Ritter war die Eroberung dieser Bastion beschlossene Sache: Nicht nur wegen des entscheidenden Schlages gegen die seldschukische Herrschaft in Anatolien, sondern auch wegen der Aussicht auf reiche Beute. Ich selbst habe solche Gedanken nie in Erwägung gezogen, wesentlich war mir die Befreiung des Grabes Christi. Am 14. Mai begann die Belagerung, und wir schafften es, in einer entscheidenden Schlacht, die Vorherrschaft zu erringen. Doch noch war die Stadt nicht erobert. Wir bauten Belagerungsmaschinen.
Am 19. Juni anno 1097 stürmten wir die Stadt Nikaia, und zur Belohnung erhielten wir vom Kaiser reiche Schätze an Gold, Juwelen und Edelsteinen. In der Schlacht von Doryläum, bei der wir in einer unwegsamen Schlucht in einen Hinterhalt geraten waren, schlugen wir die Seldschuken unter Sultan Kilij Arslan I. und bahnten uns unaufhaltsam unseren Weg durch das weite kleinasiatischeLand. Doch es sollte ein Todesmarsch werden. Balduin von Boulogne verließ das Heer und gründete in Edessa den ersten Kreuzfahrerstaat. Das Schlimmste stand uns noch bevor: der Kampf um Anthiochia. Er begann im Oktober im Jahre des Herrn 1097. Sieben Monate sollte die Belagerung dieser Stadt dauern, Nahrungsmittel und Wasser gingen uns aus, und viele Kreuzfahrer verhungerten oder flohen. Im Lager ging das Gerücht um, es seien nicht nur die Pferde, für die es kein Getreide mehr gab und die elendiglich verhungert waren, sondern auch erschlagene Seldschuken verzehrt worden. Nur der feste Glaube an die Befreiung der Christenheit und die unerschütterliche Liebe Gisèles bewahrten mich davor, es anderen Wallfahrern nachzutun, mich mit meiner Braut vom Heer abzusetzen und zu versuchen, mit einem Schiff in die Heimat zurückzugelangen.
Albrecht machte mir von Tag zu Tag einen furchtbareren Eindruck. Abgemagert, zerlumpt und verdreckt irrte er im Lager herum, sprach Frauen an, die nicht weniger ausgehungert waren, und näherte sich Gisèle immer wieder in unsittlicher Weise, was ich ihm schließlich unter Androhung von Prügeln untersagte.
Im Mai des Jahres 1098 kündigte sich das Heer Kerbogas, des Tabeg von Mosul, an. Seine Ankunft verzögerte sich, da es drei Wochen lang vergeblich Edessa belagerte. Den Angriff eines solch gewaltigen Heeres würden wir nur überstehen, wenn wir die Stadt eroberten! Wie aber sollten wir hineinkommen? Bohemunt von Tarent versprach, den Angriff durchzuführen, unter der Bedingung, dass ihm die Stadt als Herrschaft übergeben würde. Die Zeit drängte, und so stimmten die anderen Fürsten zu. Bohemunt hatte Kontakt mit dem Armenier Yogi Siyans, dem drei Türme der südlichen Stadtbefestigung unterstanden. Er wollte die Männer in die Stadt lassen. Bohemunt schlich sich nach Anbruch der Nacht mit sechzig seiner Männer zum ›Turm der zwei Schwestern‹.
Eine Leiter aus Rindsleder war vorbereitet worden, die von einem der Dolmetscher hochgezogen wurde. Fünfundzwanzig Ritter stiegen voll bewaffnet hinauf. Gottfried war einer der Ersten, ich dichthinter ihm. Heute noch sehe ich ihn über mir hinaufsteigen, vorsichtig, Schritt für Schritt auf der schwankenden Leiter, höre ihn leise und beherrscht atmen. Die Belastung durch die Leiter und die Ritter war für die Mauer zu groß. Wir stürzten herab, einige fielen so unglücklich in bereitgestellte Waffen, dass sie aufgespießt wurden. Dabei kam jedoch kein Laut von ihren Lippen.
Gott, gib uns Kraft, das durchzustehen! dachte ich ein ums andere Mal. Wir wiederholten den Aufstieg. Gottfried betrat die Mauer, ich folgte ihm auf dem Fuß. Ein Mann der Mauerwache eilte herbei und schwang sein Krummschwert. Gottfried schlug ihm kurzerhand den Kopf ab. Blut spritzte nach allen Seiten, und der Mann stürzte mit einem gurgelnden Laut die Mauer hinab. Nun gab es kein Halten mehr. Die Mauerwache war bald überwältigt; mit lautem Hörnerklang drangen wir in die Stadt ein und hatten sie binnen kurzem besetzt. Aber uns blieben nur zwei Tage, uns einzurichten.
Am 5. Juli anno 1098 überschritt Kerboga mit seinem Heer die Eiserne Brücke. Wir wurden nun unsererseits belagert. Die Vorräte schwanden zusehends, selbst die Reichen konnten sich kaum noch über Wasser halten. Für ein kleines Brot zahlte man ein Goldstück, für ein Ei zwei, ein Huhn kostete sogar fünfzehn. Wer das nicht zahlen
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