Die Pilgerin von Montserrat
Massaker, das Blut floss in Strömen. Die Flucht zum Tempelplatz war ein sinnloses Unterfangen. In ihrer Not rannten die Flüchtlinge, Männer, Frauen und Kinder, zur Moschee al-Aksa, verbargen sich darin, kletterten selbst aufs Dach, umsich vor ihren Verfolgern zu retten. Sie wurden mit Pfeilen beschossen, so dass sie kopfüber herunterstürzten, drinnen wurden ihnen zu Hunderten die Köpfe abgeschlagen.
Ich konnte und wollte solche Mordtaten nicht mitmachen noch gutheißen, flehte meine Kameraden an, einzuhalten, doch ich wurde einfach beiseite gestoßen. Albrecht wirkte wie rasend. Das Blut, das bald knöchelhoch den Platz bedeckte, schien ihn noch anzustacheln. Er verfolgte die Muslime zu dem großen Brunnen el-Kes, ich setzte ihm und den vielen anderen nach, um das Schlimmste zu verhüten. Doch es war zu spät. Die Muslime wurden die Stufen zum Brunnen hinuntergeworfen, viele stürzten in die Zisterne und ertranken. In seiner wahnsinnigen Mordlust warf Albrecht einen nach dem anderen in den Brunnen hinab. Zu meinem Entsetzen sah ich, wie ihn eines seiner Opfer bei den Haaren packte und ihn mit hinabriss. Ich erstarrte. Solch einen Tod hatte er nicht verdient, auch wenn er mordgierig und ungestüm war. Ich war mit einem schnellen Satz beim Brunnen und schaute hinab. Unten erblickte ich einen rotschäumenden Strudel und wusste, es war zu spät. Die Tränen schossen mir in die Augen und ich ging in die Knie. Wo ist Gisèle? dachte ich verzweifelt. Zuletzt war sie vor dem St. Stephanus-Tor gewesen, bevor die Menge in die Stadt hineindrängte. Ich bahnte mir meinen Weg zum Tor, glitt aus auf Blut und dreckverschmierten Kleidern, sah zerfetzte und zerstückelte Leichen am Weg liegen. Nahe dem Tor fand ich sie. Sie war zu Tode getrampelt worden. Ich nahm sie in die Arme und wankte aus dem Tor hinaus.
Der Abend senkte sich über die blutige Szenerie. Ich nahm, blind vor Tränen, eine Hacke und trug Gisèle zu einem Wäldchen, das sich dunkel in der Nähe abzeichnete. Dahinter grub ich mit der Hacke ein Loch und legte sie hinein, küsste ihr Gesicht, das schon kalt zu werden begann, warf die ausgehobenen Erde darüber und sprach ein stilles Gebet. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub! Doch ich konnte mich nicht länger aufhalten, eilte zum Tempelplatz zurück. Der Felsendom war verschlossen. Tankred sei mit seinen Männern dort eingedrungen, berichteten mir Umstehende.
Die Nacht verbrachte ich in einem Hauseingang, bekam kein Auge zu. Am nächsten Tag, an dem die Sonne golden aufging wie immer, kamen Tankred und seine Getreuen wieder heraus, schleppten Unmengen von Gold und Silber, Edelsteine, goldene Lampen, Kleidungsstücke und schwere, silberne Gerätschaften mit sich. Derweil rasten die Kreuzfahrer weiter im Mordrausch durch die Stadt. Ich sah mit hellem Entsetzen, wie sie mit gezückten Schwertern Frauen, die in die Häuser oder Paläste geflohen waren, durchbohrten, Kinder von der Mutterbrust und aus den Wiegen zerrten, gegen die Wand warfen oder ihnen das Genick brachen. Einige Muslime wurden stundenlang gefoltert, bevor man sie verbrannte.
Ich stand mit hängenden Armen da und konnte nichts ausrichten, konnte vielleicht froh sein, nicht selbst von einem Schwert durchbohrt zu werden. Die Massaker wurden begleitet von maßlosen Plünderungen, in erster Linie Gold und Silber, aber auch Pferde, Maultiere, Getreide, Wein und Öl wurden geraubt. Jeder, der ein Haus für sich ›eroberte‹, durfte es behalten.
Gegen Abend flauten die Kämpfe ab; die Mauer und die Tore mussten gegen die Muslime von außen gesichert werden. Nachdem der Davidsturm erobert war und der Statthalter Ifthikar-ad-Daula mit seinen Männern freien Abzug erhalten hatte, teilten die Kreuzfahrer die Schätze des Davidsturmes unter sich auf, gingen dann zu ihren Quartieren, wuschen sich und trafen sich an der Grabeskirche, um zu beten. Gottfried von Bouillon kleidete sich in ein einfaches Leinenhemd und begab sich mit uns auf eine Prozession rund um die Stadt, auf den Spuren von Jesus auf dem Weg nach Golgatha. Die Pilger krochen auf Knien und Ellenbogen zum Grabe Christi. Es wurde eine Auferstehungsmesse gesungen. Alles, was sich in der Kirche an Schätzen befand, wurde an die Pilger verteilt. Gottfried übergab mir einen großen, schweren, goldenen Kandelaber, für meine Verdienste auf dieser Wallfahrt. Hätte ich ihn nicht annehmen sollen? Wem wäre, da nun mein Lebensglück in Scherben vor mir lag, damit geholfen gewesen?
Einige
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