Die Pilgerin von Montserrat
Wir hatten alle Hände voll zu tun, den fahrenden Händlern Lebensmittel abzukaufen, und so gab es am Festabend wenigstens Brot, Wein und gebratenes Hammelfleisch für alle. Gisèle war geschwächt an Leib und Seele, das konnte ich von Tag zu Tag sehen, konnte es bald nicht mehr mit ansehen, aber sie hielt klaglos aus. Manchmal schaute sie mich aus ihren Augen, die groß und glänzend in dem abgemagerten Gesicht standen, so an, als wolle sie fragen, wann denn dieser Alptraum endlich zu Ende sei.
Dann kam der Wintereinbruch, unsere Zelte versanken im Schlamm. Alexios machte uns das Angebot, auf die trockeneren Quartiere in der Vorstadt am Goldenen Horn auszuweichen. Gottfriednahm an, blieb aber vorsichtig. So ging es bis zum März, die Truppen vom Heer Bohemunds von Tarent waren schon sehr nahe.
Wir verließen mit Gottfried die Stadt, und am 2. April 1097, dem Gründonnerstag, griffen wir Konstantinopel an. Nach einigen Kämpfen, bei denen es kaum Tote gab, wurde Gottfried vom Kaiser besiegt und leistete den geforderten Treueid. Nachdem die letzten Ritter diesen Eid geleistet hatten, wurden wir in aller Eile mit Schiffen über den Bosporus gesetzt, um den vor Nicäa lagernden Truppe zu Hilfe zu eilen. Mein Bruder Albrecht wurde immer wirrer im Kopf. Mit Bangen dachte ich an die unendlichen Strapazen, die uns noch bevorstanden, bevor wir Jerusalem erreichten. Wenn wir es überhaupt je erreichen sollten. «
Markus hielt inne. Im Schein der Öllampe sah sein Gesicht ernst aus.
»Was haltet ihr von dem Bericht?«, fragte er.
»Es sieht so aus, als wenn das alles auf eine Katastrophe hinsteuern würde«, meinte Froben und zwirbelte sich den Bart. Seine Augengläser funkelten. »Sie haben einen Meineid geschworen, ich kenne die Geschichte dieser ersten Wallfahrt in Waffen. Fulcher von Chartres und andere haben sie aufgeschrieben.« Er wandte sich zu Teresa. »Auf jeden Fall ist das sehr wichtig für unsere Familienchronik.«
»Aber werden wir auch etwas über den Goldkandelaber erfahren?«, fragte Teresa.
»Ich will den Ereignissen nicht vorgreifen«, meinte Markus. »Nur so viel: Wir werden etwas darüber erfahren. Wollt ihr, dass ich weiterlese?«
»Es ist spät geworden – wir sollten zu Bett gehen«, entschied Froben. »Morgen werden wir uns im Kloster und in den benachbarten Dörfern umhören.«
Teresa bedauerte es sehr, den Fortgang der Geschichte nicht hören zu können, aber sie fügte sich, wünschte den beiden eine gute Nacht und begab sich über den Hof zu ihrer Zelle.
Der erste Gang am nächsten Tag führte die drei zur Klosterküche. Ambrosius war dabei, Forellen abzubürsten. Die winzigen schimmernden Schuppen lagen auf dem Lehmboden verstreut. Es roch intensiv nach Fisch. Der Koch wandte sich ihnen zu, sein Gesicht wie immer verschwitzt, die roten Locken klebten ihm an der Stirn.
»Das war vielleicht eine Schweinerei«, polterte er. »Das alles wieder sauber zu kriegen! Die Ratten haben hier schon rumgeschnüffelt und die Hunde der Dorfbewohner. Na, es war ja ein trauriger Anlass. Gott sei der armen Seele unseres Abtes gnädig.«
»Wir wollten uns eben mit Euch darüber unterhalten«, begann Froben. »Was für ein Mensch war er eigentlich, Euer Abt Hyronimus?«
»Er war ein sehr gütiges Oberhaupt, hat immer für Gerechtigkeit unter den Mönchen gesorgt. Deshalb verstehe ich auch nicht, dass …«
»Wir wissen jetzt, dass er erstochen und danach in die Küche und in den Kessel gebracht wurde«, sagte Froben.
»Erstochen? Aber wer kann denn einem solch friedfertigen Menschen ein Haar krümmen?«
»Wir wissen es nicht – noch nicht.«
»Ihr wollt sicher erfahren, ob ich etwas gehört oder gesehen habe. Habe ich aber nicht. Es muss geschehen sein, während ich mit den anderen im Refektorium war. Etwas hat sich jedoch verändert in diesem Kloster, seit dem Tag, an dem ihr beiden eingetroffen seid.«
»Ambrosius, Ihr denkt doch nicht etwa …«, fuhr Teresa auf.
»Ich weiß nicht, was ich denken soll«, meinte der Koch und hob hilflos die Arme. »Es ist, als sei eine Art eisiger Luft hereingekommen, die sich immer mehr ausbreitet.«
»Das empfinde ich ebenso«, antwortete Froben. »Bloß, woher kommt diese Luft? Wie war es denn früher hier?«
»Früher gab es einen starken Zusammenhalt der Mönche, der Laienbrüder und der Dorfbevölkerung. Eine Hand gab der anderen und nahm auch, wenn gegeben wurde. Jetzt ist eine unerklärlicheFeindseligkeit eingekehrt, jeder zieht sich zurück und
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