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Die Pilgerin von Montserrat

Die Pilgerin von Montserrat

Titel: Die Pilgerin von Montserrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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Augen, die von Schlaflosigkeit, Wüstensand und Anstrengung blutunterlaufen waren. Gisèle wusste ich sicher im Lager am Osttor. Der verletzte Raimbold wurde heruntergebracht und versorgt. Zahlreiche Ritter kletterten die Leiter hinauf, drangen mit Schwertern und Lanzen auf die Verteidiger ein, Albrecht und ich mittendrin. Er drosch wie von Sinnen auf seine Gegner ein.
    Stundenlang wogte der Kampf hin und her. Schließlich zogen wir uns langsam zurück. Aus einem Wald in der Nähe wurde weiteres Holz zum Bau von Belagerungsmaschinen geholt. Inzwischen warensechs Schiffe in Jaffa gelandet, die Proviant brachten, und unter dem Material, das mühsam und gegen Angriffe verteidigt herbeigeschleppt werden musste, befand sich alles, was zum Bau der Maschinen benötigt wurde: Seile, Hämmer, Nägel, Äxte, Hacken und Beile. So schnell es eben ging, wurden nun die Belagerungstürme gebaut. Sie wurden mit Rädern versehen und die oberen Stockwerke mit Schleudermaschinen bestückt. Inzwischen verdursteten weiter Menschen und Vieh in der Hitze. Die Belagerung zog sich jetzt schon so lange hin, dass viele Menschen den Mut verloren und das Heer verließen.
    Am Morgen des 8. Juli umrundete eine feierliche Prozession die Stadt, von den Muslimen auf den Mauern verspottet. Die Arbeit an den Türmen ging voran. Frauen und alte Männer nähten Kuhhäute zusammen, die an die Außenseiten der Belagerungstürme genagelt wurden. Sie sollten vor dem ›Griechischen Feuer‹ schützen. Die Grundlagen zu dieser verheerenden Waffe bilden ungebrannter Kalk, Pech, Schwefel, Petroleum und Salpeter. Diese Mischung war mit Wasser nicht zu löschen, sondern nur mit Essig, wie wir von den Arabern wussten.
    Noch in derselben Nacht begannen die Vorbereitungen für den Großangriff. Die weniger bewachte östliche Mauer wurde ins Visier genommen, die westliche Belagerungsmaschine zerlegt und dorthin geschafft nebst einem inzwischen gebauten ›Widder‹. Die Wurfmaschinen wurden in Stellung gebracht. Ihr andauernder Beschuss beschädigte die Stadtmauer stark. Die Verteidiger wuchteten Säcke auf die Mauer, die mit Heu und Stroh gefüllt waren. Unser Heer setzte sie mit Pfeilen in Brand. Nun konnten wir ungehindert den Widder zum Einsatz bringen. Mit diesem mächtigen Rammbock war innerhalb kürzester Zeit die Vormauer durchbrochen. Schließlich gab auch die innere Mauer nach und brach zusammen.
    Am Morgen des 15. Juli, einem strahlenden Tag, erklang der Ruf des Muezzins. Ob die Bewohner Jerusalems wussten, was sie erwartete? Die Belagerungstürme kamen nur schrittweise vorwärts, unter dem Schwirren der Brandsätze und dem Krachen und Polternder Steine aus den Katapulten. Gisèle eilte den ganzen Tag wie die anderen Frauen mit Wasserkrügen herum, um den Männern zu trinken zu geben. Die Verteidiger versuchten, mit ihrem Griechischen Feuer die Türme in Brand zu setzen, aber sie hatten nicht mit unseren Kenntnissen gerechnet. Das Feuer wurde mit Essig gelöscht. Als die hölzernen Teile einer der Verteidigertürme der Stadt in Brand gerieten und dicker, schwarzer Rauch ihnen in die Augen trieb, mussten sie die Mauer aufgeben. Vom Belagerungsturm wurden zwei Holzbalken zur Mauerkrone hinübergeschoben, dann lösten wir die Vorderwand des Turmes, die auf die Balken zu liegen kam.
    Kaum war der Brückenschlag geglückt, als auch schon die ersten Kreuzfahrer auf den freien Anschnitt stürmten, Albrecht und ich unter ihnen. Herzog Gottfried und einige Männer sprangen vom dritten Stockwerk des Belagerungsturmes auf den Sims. Großer Jubel brach unten bei den Männern aus, sie folgten auf die Mauer. Unbeschreibliche Schreie ertönten: ›Die Stadt ist genommen!‹, und auf allen Seiten wurden Sturmleitern angelegt. Alle eilten, sie zu ersteigen und in die Stadt einzudringen. Die Muslime flohen bis zum Davidsturm und zum Tempelplatz. Herzog Gottfried befahl, das St. Stephanus-Tor zu öffnen, um weitere Kreuzfahrer in die Stadt zu lassen.
    An einem der Tore bemerkte ich ein Gerangel, Pferde mit Schaum vor den Nüstern und verdrehten Augen gingen durch und zermalmten viele Menschen, andere wurden von den Nachfolgenden erdrückt. Lass nur Gisèle nichts passieren! dachte ich. Gott schütze sie! Die Einwohner Jerusalems flohen zum Tempelplatz, wir setzten ihnen nach und verwickelten sie in Kämpfe. Tankred raste mit einer tausendköpfigen Menge an uns vorüber in Richtung Felsendom und mit ihnen flohen Tausende von Einwohnern Jerusalems. Es war ein grauenhaftes

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