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Die Pilgerin von Montserrat

Die Pilgerin von Montserrat

Titel: Die Pilgerin von Montserrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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und war froh, als sie in einer Pilgerherberge absteigen konnten, in deren Gastraum ein warmes Feuer brannte und ein Kichererbseneintopf mit Speck und Kochwürsten serviert wurde.
    Bei ihrer Weiterreise am folgenden Tag zog immer dichterer Nebel auf. Der Wind riss immer wieder die graue Decke, die sich wie ein Gespinst auf Bäume, Sträucher, und Häuser legte, ein wenig auf. Dann konnte Teresa den langen Rücken des Berges Montserrat erblicken, der steil und wie die Zacken einer Säge aus der Ebene aufragte. Sie konnte das Gefühl nicht beschreiben, das sie bei diesem Anblick befiel. War es Angst, Ergriffenheit oder Freude darüber, dass sie ihrem Ziel so nahe waren? Sie blickte ihrem Vater ins Gesicht, doch der schaute geradeaus, als könnte ihn nichts rühren.
    Am frühen Nachmittag hatten sie den Fuß des Bergstocks erreicht. Ein junger Schäfer hütete seine Herde auf einer mageren Wiese, die mit Golddisteln durchsetzt war. Verschiedene Wege führten hinauf, erzählte er ihnen, aber sie sollten sich hüten bei dem Nebel, es gebe eine tiefe Schlucht, an deren Rand das Kloster erbautwar, und da hätten sich die Berggeister schon so manchen Wanderer oder Pilger geholt. Er wies ihnen einen Weg, der sich steil zwischen Felsbrocken nach oben wand. Lange Zeit noch hörte Teresa das Blöken der Schafe und das Bimmeln ihrer Glocken. Gewiss hatte auch manches dieser Tiere sein Leben in der schluchtenreichen Gegend verloren. Die Pferde dampften und schnaubten, so anstrengend war das Klettern auf dem steinigen Pfad. Immer wieder rutschten ihre Hufe aus. Teresa und Froben stiegen ab und führten die Tiere weiter hinauf. Bis auf seine Höhen hinauf war der Montserrat mit Steineichen und Ahorn bewachsen, dazwischen hatten sich die Macchies und Garrigues ausgebreitet, hohe, dichte Gebüsche aus Erdbeerbäumen, wuchernden Lianen und Skorpionsginster. Vertrocknete Rosmarinbüsche verströmten einen aromatischen Duft. Immer wieder tauchten urplötzlich aus dem Nebel bizarre Felsformationen auf, die Teresa erschreckten, weil sie an Geister, Menschengruppen oder sogar an Elefanten erinnerten. Manche sahen Felsnadeln gleich oder Sarazenen mit Turbanen.
    Teresas Füße in den Lederstiefeln schmerzten. Langsam senkte sich die Dämmerung herab. Vor ihnen lag eine Schlucht, die etliche hundert Fuß in die Tiefe ging. Froben hielt Teresa am Arm zurück, als sie in den Abgrund schauen wollte.
    »Das Gestein hier ist tückisch«, meinte er. »Sein Geröll scheint fest eingebacken zu sein, doch hat es immer wieder Risse, die aufbrechen. Lass uns dem Pfad um die Schlucht herum folgen.«
    Ein letzter Widerschein der Sonne fiel durch einen Bergeinschnitt, dann senkte sich die Dämmerung schnell herab. Teresa hatte immer mehr Mühe, den Pfad zu ihren Füßen zu erkennen. Vor sich sah sie das Hinterteil des Pferdes ihres Vaters, das rhythmisch mit dem Schweif wedelte. Das Schnauben und leise Prusten der Tiere waren die einzigen Laute in dieser gottverlassenen Einöde. Teresa fühlte sich wie eine Puppe, die an unsichtbaren Fäden hing und immer weiter gezogen wurde, zu einem Gipfel hin, von dem sie nicht wusste, was er verbarg.
    Eine Ewigkeit verging, in der sie endlos dem Pfad folgten, derlangsam, aber stetig bergauf führte. Manchmal schrie ein Tier wie in höchster Not. Es roch nach Pferde- und Eselsmist, also waren andere schon vor ihnen diesen Weg gegangen. Einen Moment lang fühlte sich Teresa dieser Welt entrückt. Wie, wenn sie schon gestorben wären? Vielleicht waren sie in die Schlucht gestürzt und nun auf dem Weg ins Totenreich? Ob der Weg in den Himmel, zu Gott oder in die Hölle und die ewige Verdammnis führte? Schattengleiche Flügelwesen kamen ihr entgegen, streiften ihre Wange. Es schmerzte, und ihr war, als hätten die Wesen einen hellen, spitzen Ton ausgestoßen, den nur sie, Teresa, hören konnte. Sie fasste mit einer klammen Hand in ihr Gesicht. Zu ihrem Entsetzen war Blut daran. Das hatte sie doch schon einmal erlebt! Burg Wildenberg kam ihr in den Sinn. An jenem Abend hatte der Sturm um das alte Gemäuer geheult, die Glocke hatte sieben Mal geschlagen, und sie war durch den dunklen Gang hinüber zur Bibliothek gegangen. Dort waren ihr die Fledermäuse entgegengekommen. Ein starkes Gefühl, dass etwas Furchtbares passieren würde, bemächtigte sich ihrer.
    »Vater!«, rief sie mit erstickter Stimme. »Wir dürfen dort nicht hinaufgehen!«
    Froben blieb stehen und drehte sich um. »Was ist denn in dich gefahren, Tochter? Wir

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