Die Pilgerin von Montserrat
nicht an einem Platz sein, der uns im Traum nicht in den Sinn kommen würde?«
»Mir surrt es im Kopf«, sagte Teresa, »soviel Neues habe ich jetzt gelernt. Barbara sagte uns doch zum Abschied, dass das, was wir suchen, oft ganz in unserer Nähe sei.«
»Ich glaube aber nicht daran«, beschied Froben. »Es gibt keinen Ort auf Burg Wildenberg, an dem ein solcher Schatz verborgen sein könnte.«
Die Sonne hatte sich inzwischen durch den Nebel gekämpft, ihr Licht fiel auf die Felsen, Hügel und Wälder. Ohne weitere Zwischenfälle erreichten sie gegen Abend Béziers. Über die Pont Vieux, die alte Brücke mit ihren steinernen Bögen, gelangten sie in die Stadt, die von der Kathedrale St. Nazaire überragt wurde. Hier spielte sich während des Kreuzzuges das größte Schlachten des Mittelalters ab, erzählte Froben seiner Tochter. Im Jahre 1209 konnte der Vicomte der Stadt, Raimond-Roger Trencavel, Simon de Montfort und seinen Rittern nicht mehr standhalten. » Tötet sie alle, Gott wird die Seinen erkennen«, waren die Worte des Legaten von Papst Innozenz III. beim Ansturm auf die Katharerstadt.
Während der nächsten Tage, an denen sie Narbonne und Perpignan passierten, verschlechterte sich das Wetter zusehends. Der Wind wehte nun vom Meer herüber, das Teresa manchmal in der Ferne als graue, endlose Masse hervortreten sah. Die Pferde waren es müde, ständig gegen Graupelschauer anzukämpfen, und sie mussten öfter als sonst eine Pause einlegen.
Schließlich erreichten sie völlig erschöpft ein Dorf in der Provinz Girona, schon auf spanischem Hoheitsgebiet. Sie sahen es von einem Hügel aus unter sich liegen, im Hintergrund die weite empordanesische Ebene. Der Ort war umgeben von Weinbergen und Olivenhainen. Felder und Wege waren ockerfarben, dahinter glänzte das Meer. Die Glocken der Kirche läuteten zur Abendandacht.Teresa klangen sie vertraut in den Ohren, und sie wünschte sich, an diesem stillen Ort bleiben zu können. Noch mehr aber wünschte sie sich, nicht allein zu bleiben. In ihrer Kammer, deren Fenster auf einen Korkeichenwald hinausging, lag sie am Nachmittag müde auf dem Bettkasten. Das Zirpen der Grillen drang herein, ein Duft nach Thymian verbreitete sich im Raum.
Teresa fühlte sich warm und geborgen. Als sie zwischen Schlafen und Wachen dahinglitt, immer wieder aufschreckte und erneut in einen kurzen, flachen Schlaf sank, war es ihr, als berührte sie jemand am Arm. Sie schaute auf und sah das Gesicht von Markus, der sich über sie beugte. Ein Glanz lag in seinen Augen, den sie sich nicht erklären konnte, sich auch nicht erklären wollte. Sie streckte die Arme aus und zog ihn zu sich herab. In sanften Küssen und Bewegungen wurden sie mehr und mehr eins, und schließlich durchflutete eine nie gekannte Süße ihren Körper. Jäh wurden sie auseinandergerissen, zurück blieb ein heftiger Schmerz. Es war wie eine Erkenntnis, die dicht unter der Oberfläche lag. Teresa kam nicht darauf, so sehr sie sich auch anstrengte. Sie brachen auf vom Kloster Agenbach, durchzogen fremde Länder. Immer waren sie unterwegs. Die Verfolger waren ihnen jedoch stets auf den Fersen. Matthias begleitete sie. Er wies auf einen Berg, der wie eine Säge aussah. Sein Gesicht war bekümmert. Liefen nicht sogar Tränen über sein Antlitz? Sie breitete die Arme aus und begann zu fliegen, flog über abgeerntete Felder, ockergelbe Wege, über Wälder aus Buchen und Steineichen, immer höher, hinauf zu den bizarr geformten Felsen, die in den wasserblauen Himmel ragten. Dort stand das Kloster, das sich in den Berg krallte, als drohe es in den Abgrund zu stürzen. In einer Kammer kam sie zum Halten, landete auf dem festgestampften Boden. Vor ihr stand der Kandelaber, strahlte im Licht der Diamanten, Smaragde und Rubine, die ihn zierten. Eine nie gekannte Freude ergriff Teresa, sie fühlte sich freier und mächtiger als je zuvor in ihrem Leben. Der blonde Junge hatte sich neben dem Kandelaber auf den Boden gekauert, er sah bekümmert aus. Sie streckte die Hand aus, umschloss den Leuchter mit ihren Fingern. Vom Metallging eine ungeheure Wärme und Kraft aus, die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete.
Als Teresa erwachte, war es heller Tag. Die Stelle, an der Markus gelegen hatte, war leer, der Kandelaber verschwunden, und die Gestalt des blonden Jungen stand in der Ferne, im Korkeichenwald. Er drehte sich um und ging, ohne sich noch einmal umzuschauen.
22.
Drei Tage war Markus nun schon unterwegs, seit er Père Frontier
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