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Die Pilgerin von Montserrat

Die Pilgerin von Montserrat

Titel: Die Pilgerin von Montserrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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hinunter. Senkrecht stürzten die weißlichgelben Wände hinab, in ihre Spalten und Vorsprünge klammerten sich Ginster und Schwarzdorn.
    »Komm da weg, bevor es dir schwindelig wird und du hinabfällst!«, warnte Froben.
    Teresa trat einen Schritt zurück. »Wie tief ist diese Schlucht?«
    »Das Val Male, das schlechte Tal, misst etwa zweitausendneunhundert Fuß Tiefe«, ertönte eine Stimme hinter ihnen.
    Beide drehten sich überrascht um. Hinter ihnen stand ein alter Mann in der Benediktinertracht. Seine Augen in dem hageren, sonnenverbrannten Gesicht wirkten freundlich.
    »Ich bin der Abt dieses Klosters, Appollonius genannt«, erklärte er. »Die Moreneta wurde übrigens nicht von Schäfern gefunden. Im Jahr des Herrn 880 folgten einige Pfarrer der Umgebung einem andauernden, glänzenden Licht, das an jedem Samstag an einem bestimmten Punkt des Berges erschien. In Begleitung des Bischofsvon Manresa fanden sie dann in der Santa Cova die Madonna. Daraufhin wurden verschiedene Kapellen gebaut. Eine davon, Santa Maria, wurde im Jahr 1025 Ursprung des heutigen Klosters.«
    Die Nebeldecke über der Schlucht und der Ebene hatte sich inzwischen aufgelöst. In der Ferne war es weiterhin dunstig, so dass Teresa das Meer nur erahnen konnte. Auf halber Höhe des Gebirges lagen Weiler, Gehöfte und Eremitagen verstreut.
    »Kommt, ich will Euch unseren Garten zeigen«, meinte der Abt.
    Sie durchschritten den Kreuzgang mit seinen Spitzbögen und schlanken Säulen. In der Mitte des Klostergartens befand sich ein kreisrundes Becken, zu dem Stufen hinabführten. Der Garten war von einer Arkade umgeben.
    »Nun muss ich doch einmal fragen, was Euch zu uns herführt«, begann der Abt erneut zu sprechen. »Ihr seht nicht wie gewöhnliche Pilger aus, die normalerweise an Feiertagen scharenweise zu uns kommen.«
    »Wir sind tatsächlich auf einer Pilgerfahrt«, antwortete Froben. »Allerdings auf keiner gewöhnlichen. Wir suchen einen goldenen Kandelaber, der in der Zeit der Kreuzzüge abhanden kam. Ein Eremit in der Provence teilte uns mit, dass es einen Gelehrten namens Montaña hier im Kloster gebe, der mehr darüber wisse.«
    »Ah, ja, Gabriel de Montaña, unser Bibliothekar und Archivar. Freilich, da gab es eine Geschichte, vor langen Jahren … Ich werde Euch später mit ihm bekanntmachen.«
    Eine helle Glocke klang herüber, Zeit für das Mittagessen im Refektorium. Der Abt ließ es sich nicht nehmen, sie dorthin zu begleiten. In einer Nische des Kreuzgangs sah Teresa eine geschnitzte Heiligenfigur, deren Körper völlig von verfilztem Haar bedeckt war. Neugierig fragte sie den Abt, was das für ein Heiliger war.
    »Das ist Fra Gari, ein Mönch, der im 15. Jahrhundert in diesem Kloster lebte. Nun, ob er wirklich gelebt hat, ist eine andere Frage. Um die Heiligen bilden sich ja immer gern Legenden. Der Ruhm dieses Eremiten war auch an die Ohren von Wilfred dem Haarigen gedrungen. Der suchte verzweifelt ein Mittel, um seine TochterRiquilda von der Teufelsbesessenheit zu befreien. Er hoffte, dass Bruder Gari ihm helfen könnte. Bruder Gari zog einen anderen Eremiten zu Rate, der sich erst vor kurzem im Gebirge niedergelassen hatte. Der riet ihm, Riquilda in seiner Zelle zu empfangen. Das Unausweichliche geschah: Die junge Frau verführte den Mönch Gari, der verzweifelte vor Scham und Angst vor Riquildas Vater. Der andere Eremit riet ihm, das Mädchen zu töten. Kaum hatte Gari das vollbracht, verwandelte sein falscher Ratgeber sich in den Teufel höchstselbst und verschwand mit Donner und Schwefelgestank. Seit diesem Tag war auch Gari verschwunden.«
    »Ist er jemals wieder aufgetaucht?«, fragte Teresa.
    »Ja, eines Tages brachten Jäger eine kleine Bestie an den Hof, die sie in den Bergen gefangen hatten. Als dieses tierähnliche Wesen Wilfred vorgeführt wurde, ertönte eine Stimme wie aus dem Jenseits: ›Steh auf, Bruder Gari, dir sei verziehen!‹ Dieses Tier war niemand anders als Bruder Gari, der auf allen vieren lebte, um seine Sünde abzubüßen. Fortan lebte er zurückgezogen und führte ein vorbildliches Leben. Wahrscheinlich ist es nicht nur eine Legende, denn im vorigen Jahrhundert nahmen unsere Mönche tatsächlich eine halbwilde Kreatur auf, der sie Unterkunft und Erziehung angedeihen ließen. Sie hatte wie ein Tier auf allen vieren gelebt, um ihre Sünde abzubüßen. Die Moral von der Geschichte: Bewahrt eure Keuschheit, liebe Mönche.« Ein feines Lächeln umspielte die Züge des Abtes. »Im Übrigen«, er wandte

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