Die Pilgerin von Montserrat
Genaues«, antwortete Bruder Gabriel. »Auf jeden Fall meinen immer alle, auf dem rechten Weg zu sein und sich für den Frieden einzusetzen. Durch ihre starre Haltung erreichen sie jedoch das Gegenteil. Auch die Templer wichen von ihren eigenen Statuten ab, waren hochnäsig und eitel.«
»Eure Erzählung hat meine Neugier noch mehr angestachelt«, sagte Teresa. Ihre Wangen glühten. »Wir werden unseren Plan ausführen und heute noch weiterreisen nach Barcelona, dann nach Jerusalem.«
»Das würde ich an Eurer Stelle nicht machen«, meinte Bruder Gabriel. »Das Wetter ist zu schlecht, außerdem ist die Seereise nach Jerusalem im Winter zu gefährlich.«
Teresa trat zu einem der Fenster und schlug die Tierhaut zur Seite.
»Da, seht einmal, es hat aufgehört zu schneien! Die Sonne kommt durch. Das ist ein Zeichen. Niemand wird mich davon abhalten, meinen Weg fortzusetzen!«, rief sie aus. »Unseren Weg«, verbesserte sie sich. »Wir reisen heute noch ab, ohne Eskorte.«
26.
Vorsichtig tasteten Teresa und Froben sich den Berg hinab. Über den Steinen lag eine Eisschicht wie eine durchsichtige Glasur. Die Pferde führten sie am Zügel hinter sich her. Manchmal glitten die Tiere aus und hatten Mühe, sich wieder zu fangen. Sie waren ihr kostbarster Besitz, ihnen durfte um keinen Preis etwas geschehen. Als sie den Pfad bei der Schlucht erreichten, warf Teresa einen kurzen Blick in den Abgrund. Eiskristalle hatten sich an den Felswänden gebildet, die aussahen wie hohe, schlanke Säulen. Sie schimmerten in einem bläulichen Licht. Tief unten rauschte der Fluss, unter einer Schneeschicht verborgen. Die Berge und Felsen türmten sich auf wie eine Armee von Giganten. Der Blick auf das Tal des Llobregat war durch tiefhängende Wolken versperrt.
Immer wieder schaute Teresa sich um, weil sie das Gefühl nicht los wurde, sie seien nicht allein. Aber sie sah nur die mächtigen Mauern des Klosters weiter oben, die zerklüfteten Kuppen darüber, und sie hörte nichts als den Wind in den Spalten sowie ab und zu den Schrei eines Falken.
Schließlich, nach langer, mühseliger Kletterei abwärts, erreichten sie den Hang, an dem ihnen der Schäfer begegnet war. Teresa kam es vor, als sei das vor zehn Jahren gewesen. Die Pferde schüttelten ihre Köpfe und wieherten, als seien sie froh, dem düsteren Gebirge entronnen zu sein. Auch Teresa fühlte sich wie von einem Alpdruck befreit. Hier unten war es etwas wärmer; der Schnee auf dem Hang war teilweise getaut und gab an einigen Stellen gelbgrünes Gras frei. Sie saßen auf und ritten weiter bergabwärts, dem Meer und Barcelona zu. Inzwischen war die Nacht herabgesunken. Sie hatten beschlossen, kein Lager aufzusuchen. Wie schon im Schwarzwald ritt Teresa blind hinter ihrem Vater her, ohne selbst besonders auf denWeg zu achten. Das Pferd würde sie sicher zu ihrem Ziel tragen.
Ihrem Vater konnte sie vertrauen. Morgen in der Frühe würden sie in Barcelona am Hafen stehen und nach einem Schiff Ausschau halten, nicht ohne einen Würzwein und ein Brot mit Schinken verzehrt zu haben.
Jäh wurde sie aus ihren Träumen gerissen. Vor ihnen baute sich eine Mauer schemenhafter Gestalten auf. Sie gaben keinen Laut von sich. Bevor Teresa ihrem Pferd die Sporen geben konnte, hatte sich einer dieser Schatten auf sie zu bewegt. Eine kräftige Hand zerrte sie herunter und drückte ihr einen Lappen vor das Gesicht. Sie versuchte zu schreien, schlug um sich, jedoch umklammerte sie die Hand weiter wie ein Schraubstock. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass jemand ein Tuch über ihren Vater geworfen hatte. Allmählich schwanden ihr die Sinne. Aus der Ferne drangen leise Stimmen und Hufgetrappel zu ihr herüber. Es wurde schwarz um sie.
Als Teresa erwachte, war es totenstill. Ihr Kopf schmerzte heftig. Es roch feucht, sie lag auf kaltem Gestein, ihre Hände waren gefesselt, die Füße ebenfalls gebunden. An der Wand hing eine Fackel in einem Eisenring und beleuchtete den Umkreis, der aus einem felsigen Boden und einer halbhohen Decke bestand. Zwischen Boden und Decke standen glänzende Säulen in grotesken Formen. Einige ragten rötlich schimmernd in die Höhe, andere wuchsen ihnen von oben entgegen. Irgendwo tropfte Wasser herab. Sie hörte ein unterdrücktes Stöhnen und wandte den Kopf. Neben ihr lag ihr Vater, an Händen und Füßen gefesselt wie sie selbst.
»Wo sind wir?«, flüsterte sie ihm zu. »Und wie sind wir um Himmels willen hierher gekommen?«
»Ich weiß genauso viel und so wenig
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