Die Pilgerin
Räuberbande zurückzuschlagen.
Trotz dieser Erkenntnis musste Vater Thomas sich erst einmal selbst Mut machen. Bevor er seine Entscheidung den anderen bekannt gab, blickte er von einem seiner Begleiter zum anderen. Renata und ihre Schwester hatten ihre noch immer ein wenig feuchten Hemden übergezogen, um sich nicht weiter nackt vor den Männern zeigen zu müssen. Auch Hedwig prüfte, wie weit ihr eigenes Hemd bereits getrocknet war, während Tilla vonKopf bis Fuß in die Felldecke eingehüllt war. Es musste ihr warm darin sein, denn er entdeckte kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn.
Der Pilgerführer seufzte. Er hätte seinen Leuten längst sagen müssen, dass es sich bei dem angeblichen Otto um eine junge Frau handelte. Aber einigen misstraute er. Manfred war imstande, Tillas Geheimnis nach einem Becher Wein hinauszuposaunen, Sepp würde die junge Frau vielleicht sogar als leichte Beute ansehen, und was Peter betraf, so wusste Vater Thomas ihn nicht so recht einzuordnen. Dazu kam, dass sich irgendwo da draußen jene unsäglichen Kerle herumtrieben, die die junge Witwe suchten und gewiss keine guten Absichten hatten. Vater Thomas nahm an, dass viel mehr dahinterstecken musste, als Tilla selbst ahnte. Normalerweise hätten Kerle wie diese die Suche nach ihrer Verwandten nach einigen Tagen aufgegeben, wären nach Hause zurückgekehrt und hätten sie dort für tot erklärt. In Annecy hatte er jedoch von einem Mönch erfahren, dass die beiden Männer eine hübsche Summe für eine Nachricht über Tillas Verbleib geboten hatten.
Wieder einmal bedauerte er, dass er die junge Frau nicht ganz zu Anfang fortgeschickt hatte, denn mit ihr lastete eine Verantwortung auf ihm, die er kaum tragen konnte. Es war schon schwer genug, die Gruppe auf sicheren Pfaden zum Ziel zu führen, da konnte er keine zusätzlichen Probleme brauchen.
Vater Thomas’ Gedanken wanderten weiter zu den stolzen Rittern und den Söldnerscharen, die sich im südlichen und westlichen Frankreich harte Kämpfe lieferten. Eduard III., der englische König, forderte den Thron Frankreichs für sich als Erbe seiner Mutter, während Johann II. aus dem Haus Valois nur die Abkunft über die männliche Linie gelten lassen wollte und seinerseits die Lehen zurückforderte, die Eleonore von Aquitanieneinst dem englischen König Heinrich II. in die Ehe gebracht hatte.
Der Pilgerführer verstand nur wenig von Politik und wusste daher nicht zu entscheiden, welchem der Könige das Recht zur Seite stand. Er tröstete sich jedoch damit, dass Gott dem helfen würde, der es verdiente, und hoffte auf ein baldiges Ende der Kämpfe, die die Pilgerzüge im Süden Frankreichs in Mitleidenschaft zogen.
»Es scheint aufzuhören!« Ambros warf seine Pelerine über und eilte zur Tür, um hinauszuschauen.
»Tatsächlich, der Regen lässt nach und einen Donner habe ich auch schon seit einiger Zeit nicht mehr gehört.«
Da auch die anderen zur Tür drängten, nutzte Tilla die Gelegenheit und schlüpfte in Hemd und Hosen. Sie hatte gerade die Haare wieder unter den Hut gesteckt, als Ambros zurückkam. Sein Blick glitt über die beiden kleinen, aber verräterischen Hügelchen auf ihrer Brust. Er sagte jedoch nichts, sondern reichte ihr die bis zu den Knien reichende Jacke, die mit ledernen Knebeln und Schlaufen geschlossen wurde.
»Ich hoffe, unser Freund gibt uns hier etwas zu essen, sonst wird uns der Magen bis in die Kniekehlen hängen«, meinte er dann. »Es ist genug zu essen da. Wenn er es uns nicht geben will, werden wir es eben nehmen.« Sepp streckte die Hand nach einer Wurst aus und wollte sie herunterholen, als der scharfe Ruf ihres Anführers erscholl.
»Halt! Wir sind Pilger, die dankbar für das Dach über dem Kopf sind, unter dem wir unsere Kleider trocknen und uns wärmen konnten, aber keine Diebe.«
Sepps Hand zuckte zurück, doch der Blick, den er Vater Thomas zuwarf, war nicht gerade freundlich. Zum Glück erwies sich der Hauswirt als gastfrei und kredenzte ihnen in den drei Bechern, die er besaß, sauer schmeckenden Wein und überließ ihnen den größten Teil des Brotes und zwei Laib Käse. Auf die Wurst, die Sepp so ins Auge gestochen hatte, mussten sie jedoch verzichten.
II.
Der Weg, dem sie am nächsten Tag folgten, glich eher einem Ziegenpfad als einer Straße. Sie mussten hintereinander gehen und Manfred, der das Kreuz vorantrug, hatte Mühe, es zu halten. Er stolperte immer wieder über Wurzeln und spitze, aus dem Boden ragende Felsstücke, so dass
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