Die Pilgerin
beistehen wollen?« Sie sah Starrheim tief in die Augen und spürte, wie er in ihrem Blick versank.
»Ihr allein könnt mich retten! Würdet Ihr meinen Verfolger auf eine falsche Spur locken, damit ich genug Vorsprung erhalte, um ihm entkommen zu können?«
»Wir werden alles tun, was Ihr wünscht.« Starrheim hob sie aus dem Sattel und stellte sie neben ihr Pferd. Dabei blieb sein Blick auf ihrem Dekolleté haften. Tilla hätte sich geschämt, wenn ein Mann sie so anstarren würde. Die Dame lachte jedoch nur und küsste den Grafen auf die Wange.
»Habt Dank, mein Freund!«, sagte sie, richtete ihren Blick jedoch auf Tilla und musterte sie, als wolle sie an ihr Maß nehmen. Trotzdem entging ihr nicht, dass Sebastian auf die Aufmerksamkeit eifersüchtig war, die sie dem Grafen geschenkt hatte, und tätschelte ihm mit einem schmelzenden Lächeln die Wange.
Hätte die Dame etwas kräftiger ausgeholt, wäre es eine prächtige Ohrfeige geworden, und die hätte Tilla ihrem Jugendfreund vergönnt. Sie musste an sich halten, um Sebastian nicht selbstzu einer Maulschelle zu verhelfen, denn in ihren Augen benahm er sich einfach lächerlich. Sie schob diesen Gedanken rasch beiseite, denn ihre Wut richtete sich auf Felicia de Lacaune, den wahren Störenfried.
Die Dame ging einmal um sie herum und schien sie abzuschätzen wie einen Dienstboten. »Dieser junge Mann ist nur wenig größer als ich und könnte, wenn er meine Kleidung trüge, für mich gehalten werden. Wenn Ihr, Herr, und vielleicht auch ihr …«, die Dame neigte den Kopf in Richtung Starrheim und Sebastian, »euch überwinden könntet, die Tracht meiner Gefolgsleute anzuziehen, würde der Feind euch folgen und ich könnte ihm entkommen.«
»Dafür erwischt er uns!« Tilla zeigte deutlich, wie wenig sie von dieser Idee hielt.
Die beiden Gardisten schienen ebenfalls nicht begeistert zu sein, denn sie redeten leise, aber heftig auf ihre Herrin ein. Zuletzt aber mussten sie nachgeben und begannen, ihre Kleidung abzulegen. Auch Felicia de Lacaune zog sich ganz ungeniert aus und stand bald mit nicht mehr als ihrem seidenen Unterhemd bekleidet vor ihnen.
Sepp griff sich stöhnend in den Schritt, denn die fließende Seide enthüllte mehr, als sie verbarg. Die anderen Männer konnten sich besser beherrschen, selbst Vater Thomas atmete etwas rascher und er faltete die Hände zu einem Gebet, das seine Gedanken von solch gefährlichen Pfaden zurückrufen sollte.
Starrheim und Sebastian hatten bereits ihre Pilgertracht mit den Reisigen getauscht, da stand Tilla immer noch unbewegt am Rand der Gruppe, die Arme vor der Brust gekreuzt und die Lippen missmutig vorgeschoben.
»Was ist? Warum ziehst du dich nicht um?«, herrschte Sebastian sie an.
»Weil ich nicht will!«
»Bei Gott, was bist du für ein störrisches Ding. Die Dame ist in großer Gefahr und wir müssen ihr helfen. Jeder Augenblick zählt!«
Da Sebastians Worte nicht zogen, glitt Felicia de Lacaune zu Tilla hin und fasste ihr Gesicht mit ihren weichen, kühlen Händen.
»Mein Herr, tut es bitte für mich!«, übersetzte Starrheim ihre Worte.
Jetzt mischte sich auch Vater Thomas ein. »Du musst es tun, Otto. Es wird einen Teil deiner Schuld mindern.«
Tilla wand sich innerlich wie ein Wurm, denn sie begriff nicht, wieso Männer auf diese Weise den Verstand verlieren konnten. Merkten sie denn nicht, dass Felicia de Lacaune sie nur ausnützte? Unter ihrem freundlichen Gehabe war die Dame so kalt wie das Eis der Donau im Winter. Verzweifelt hob sie die Hände.
»Aber wenn wir das tun, müssten Herr Rudolf, Sebastian und ich zu Pferd weiterreisen. Ich kann aber nicht reiten.«
Starrheim tat ihren Einwand mit einem Auflachen ab. »Ich sorge schon dafür, dass du nicht aus dem Sattel fällst, Otto.«
»Ihr dürft nicht reiten, denn Ihr habt geschworen, kein Pferd zu besteigen, bevor Ihr Santiago erreicht habt.«
Auch dieser Hinweis verfing nicht, denn Vater Thomas schlug das Kreuz und gab dem Grafen Dispens, seinen Eid aus notwendigen Gründen zu verletzen. Da die Männer bereit zu sein schienen, Tilla mit Gewalt auszuziehen und in die Kleidung der Edeldame zu stecken, gab diese nach.
»Hedwig, du musst mir helfen, dieses Gewand anzuziehen.« Tilla sah sich dabei verzweifelt nach einem Platz um, an dem sie sich nicht vor den Augen der Männer entblößen musste. Doch außer Felsen und einer einsamen, verkrüppelten Fichte gab es hier nichts auf weiter Flur.
Sie hätte sich keine Sorgen zu machen
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