Die Pilgerin
ritten sie weiter und hielten kurz vor der Pilgergruppe an.
Einer der beiden Männer fragte etwas auf Französisch. Starrheim antwortete ihm und verbeugte sich im nächsten Momentvor der Dame. Was er sagte, konnte Tilla nicht verstehen, doch der leuchtende Blick des Edelmanns verriet ihr genug. Die Reiterin, die etwa siebzehn Jahre zählen mochte, bot allerdings auch einen Anblick, der die Herzen der Männer in Brand setzen konnte. Ihr langes, blaues Reitkleid lief in einer Art Schleppe aus, die fast bis zum Boden reichte. Oben war es verwegen ausgeschnitten und ließ die Ansätze zweier prachtvoller Brüste erkennen, die Tilla ein wenig neidisch machten. Aus einem holden Gesicht, das vorteilhaft von einem Schleier umrahmt wurde, blickten kornblumenblaue Augen auf Starrheim nieder, und um ihren sanft geschwungenen Mund, der zu rot leuchtete, um natürlich zu sein, spielte ein schmeichelndes Lächeln.
Sie redete wortreich auf Starrheim ein, der ihr wie gebannt zuhörte und sich dann zu seinen Begleitern umdrehte. »Die edle Dame heißt Felicia de Lacaune und fragt, wer wir sind und woher wir kommen.«
»Nun, dann sagt es ihr doch.« Vater Thomas neigte nun ebenfalls den Kopf vor der jungen Frau. Obwohl er sich gegen die Begierden des Fleisches gut gewappnet wusste, blieb ihr Anblick nicht ganz ohne Wirkung auf ihn. Er raffte die wenigen französischen Brocken zusammen, die er auf seinen Pilgerreisen aufgeschnappt hatte, um die Edeldame zu begrüßen, und ging dann auf ein paar lateinische Formeln über.
Starrheim wartete, bis er seinen Segen gesprochen hatte, und antwortete beinahe übermütig auf die Fragen der Dame. Sie erfuhr, dass sie eine Pilgergruppe aus Deutschland vor sich hatte, deren Ziel das Grab des heiligen Apostels in Santiago war.
»Also kümmert Ihr Euch wohl nicht um Politik und solche Dinge und Eure Begleiter sind auch nur an ihrem Seelenheil interessiert?«, fragte sie Starrheim mit einem sinnenden Ausdruck auf dem Gesicht.
Graf Rudolf schüttelte den Kopf. »Unser einziges Ziel ist es, die Reinheit unserer Herzen im Gebet zu erlangen.« Sein bewundernder Blick verriet jedoch, dass er derzeit nicht an die Reinheit seines Herzens, sondern an ganz andere Dinge dachte.
Felicia de Lacaune durchschaute ihn und lachte leise auf. Auf Starrheim und die anderen Männer der Gruppe wirkte es wie das Geläut eines silbernen Glöckchens. Sie scharten sich um die Edeldame, wagten es aber nicht, den Saum ihres Kleides zu berühren.
Während sie die Aufmerksamkeit sichtlich genoss, rutschten ihre Begleiter nervös auf ihren Sätteln herum. »Herrin, wir müssen weiter! Es ist zu gefährlich, länger zu verweilen.«
»Ihr seid in Gefahr?« Starrheim sah in dem Augenblick aus, als wolle er es mit bloßen Händen mit einem Drachen aufnehmen, um die Dame zu beschützen.
Auch Sebastian baute sich breitbeinig neben ihm auf und schüttelte kämpferisch seinen Stock. »Solange wir bei Euch sind, soll es keiner wagen, Euch ein Leid anzutun!« Er hatte seine Abneigung gegen Adelige im Allgemeinen und Starrheim im Besonderen vergessen und war bereit, Seite an Seite mit dem Grafen zu kämpfen, um die Dame zu beschützen.
Felicia de Lacaune bedachte die beiden jungen Männer mit einem seelenvollen Blick. »Ihr seid so edel und tapfer, meine Herren! Ich danke euch, dass ihr euch meiner annehmen wollt. Ich befinde mich wirklich in Gefahr. Ich hatte gerade eine Wallfahrt angetreten, die ich meiner verstorbenen Mutter versprochen hatte, als ein böser Feind mich überfiel und gefangen nahm, um meinen Oheim erpressen zu können. Glücklicherweise gelang mir die Flucht, doch ich befürchte, dass mein Feind mich bereits verfolgt. Allein und hilflos, wie ich bin, werde ich ihm wohl nicht entkommen können.«
»Ihr seid weder allein noch hilflos!« Rudolf von Starrheim hatte in diesem Augenblick ganz vergessen, dass er nicht den glänzenden Harnisch des Kriegers trug, sondern die Tracht eines Santiago-Pilgers. Mit einer in Tillas Augen übertriebenen Geste kniete er vor Felicias Stute nieder und hob die Hand zum Schwur. »Eher werde ich sterben, als Euch Eurem Feind zu überlassen, Mademoiselle!«
Nur Tilla schien zu bemerken, mit welch berechnendem Blick die Dame die Pilger musterte, ehe sie Starrheim bat, ihr aus dem Sattel zu helfen.
»Herrin, wir müssen weiter«, drängte ihr Gefolgsmann.
Felicia de Lacaune brachte ihn mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen. »Siehst du nicht, dass diese wackeren Leute uns
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