Die Pilgerin
diesen Samariterdienst übernehmen musste.
Als der Abend kam, kauerte sich die Gruppe im Schutz eines Felsens eng um ein kleines Feuer, das sie mit Steinen zu verbergen suchten, aus Angst, die Söldner könnten sonst den Widerschein entdecken und zurückkehren. Die Flammen reichten gerade, um die Gesichter erkennen zu können, verströmten jedoch keine Wärme. Die Verletzten hatte man auf Reisig gebettet und mit Tillas und Vater Thomas’ Pelerinen zugedeckt. Ihre eigenen waren ebenso wie der Umhang des Ritters und alle brauchbaren Ausrüstungsgegenstände von den marodierenden Söldnern mitgenommen worden. Anna teilte ihre Pelerine mit Renata, die mehr damit zu tun hatte, ihre Schwester zu trösten, als an das zu denken, was ihr selbst widerfahren war. Tilla wunderte sich, wie robust Renata zu sein schien, sah aber auch, wie deren Mundwinkel zuckten und sie sich immer wieder an den Unterleib griff, der wohl sehr schmerzte.
Die Stimmung war trübe, denn bis jetzt war es ihnen nicht gelungen, eine Spur von Ambros zu finden, und sie hatten Angst um ihren Gefährten. Auch hatten sie die Toten nicht begraben können, und das Blut zog Wölfe an, deren Geheul immer näher kam.
Dieter, der nicht mit dem Gefühl fertig wurde, sich als Feigling erwiesen zu haben, während sein Freund Manfred gekämpfthatte und wie ein Mann gestorben war, stieß nach einer Weile einen größeren Ast in die Flammen, stand auf und hob die einfache Fackel auf. »Ich will die Wölfe davon abhalten, an die Toten zu gehen.«
Sebastian fasste ihn an seiner Pelerine. »Das ist nicht möglich! Sie liegen zu weit auseinander.«
»Du würdest nur selbst den Wölfen zum Opfer fallen!«, ergänzte Starrheim, verzog sein Gesicht und hustete. Er war nur wenig besser dran als der sterbende Ritter, doch seine Begleiter hofften auf die Kraft seines jungen Blutes. Nun lag er wieder still und blickte zu Blanche hinüber, die neben ihrem Onkel kauerte und stumm vor sich hin weinte.
»Wenn ihr meint, dass ich nicht gehen soll, dann bleibe ich hier.« Erleichtert setzte Dieter sich wieder, löschte den hell auflodernden Ast und zerschnitt ihn in kleinere Stücke, um das Feuer vorsichtig zu nähren.
»Mir ist kalt«, flüsterte Starrheim, der sich vergebens bemühte, seine Zähne am Klappern zu hindern.
Tilla warf den Kopf in den Nacken, als müsse sie sich selbst den eben getroffenen Entschluss bestätigen, und kroch dann vorsichtig neben den Verletzten, um ihn mit ihrem Leib zu wärmen.
Sebastian sah ihr zu und empfand Neid auf den Grafen. So hätte Tilla sich an ihn schmiegen sollen. Ihn tröstete nicht einmal die Tatsache, dass Starrheim gewiss keinen Vorteil aus ihrer Nähe schlagen konnte, da er viel zu schlecht dran war, um zu sündigen.
Blanche folgte Tillas Vorbild, um ihren Onkel warm zu halten. Der alte Ritter ließ es mit einem sanften Lächeln auf den Lippen geschehen. »Du bist ein gutes Kind!«, flüsterte er.
Sie aber schluchzte auf. »Ich habe dir nur Kummer und Sorgenbereitet, mon oncle, und bin nun schuld an deiner Verwundung.«
»Nein, das bist du nicht. Die haben mir schon andere beigebracht.« Für einen Augenblick brachte der Schwerverletzte ein wenig Galgenhumor auf. Er strich mit seiner rechten Hand über den Schopf des Mädchens und seufzte.
»Du musst stark sein, Blanche, denn ich werde nicht mehr lange bei dir sein können.« Mit einer bittenden Geste wandte er sich an Vater Thomas.
»Versprecht mir, dass Ihr Euch um meine Kleine kümmert. Ihr müsst sie zu Graf Gaston von Foix bringen. Sagt ihm, sein alter Freund Coeurfauchon bittet ihn, sich ihrer anzunehmen.«
Vater Thomas saß starr auf seinem Platz und schien die Worte des Edelmanns nicht einmal gehört zu haben. Daher übernahm Starrheim es zu antworten. »Ich werde alles tun, um Eure Nichte wohlbehalten dem Grafen übergeben zu können, das schwöre ich Euch.«
»Danke!« Der alte Ritter schloss die Augen und ließ den Kopf zurücksinken. Sein Atem verlangsamte sich und Tilla sah mit einer Mischung aus Faszination und Grauen, wie das Leben in ihm zerfloss.
Auch Blanche merkte es, sie schreckte hoch und schüttelte ihren Verwandten. »Onkel, bitte! Du darfst mich nicht verlassen!«
Aber Coeurfauchon würde ihre Stimme niemals mehr hören. Hedwig ging zu dem Mädchen, das sich wie im Fieber schüttelte, und zog sie an sich. »Komm, meine Kleine. Er ist gestorben, um dich zu retten. Sei ihm dankbar und vergönne ihm den Ruhm, wie ein Held in die Ewigkeit eingegangen
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