Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
Augen stand das Grauen.
    Während die Gruppe in die ausgewaschene Höhlung kroch und sich gegen die Wand drückte, um von oben nicht gesehen zu werden, faltete der Pilgerführer die Hände und begann laut zu beten.
    Dieter hielt ihm kurzerhand den Mund zu. »Seid leise, ehrwürdiger Vater, sonst hören sie uns.«
    »Wo ist meine Schwester?« Außer sich vor Sorge wollte Anna wieder nach oben klettern.
    Tilla packte sie, riss sie zu Boden und presste ihr die Hand auf die Lippen. Im nächsten Augenblick war sie es, die aufstöhnte, denn Anna hatte ihr in die Hand gebissen. Hedwig half ihr schließlich, die tobende Frau zu bändigen.
    »Mein Gott, in was sind wir da hineingeraten?«, flüsterte sie und horchte angstvoll nach oben. Die Kampfgeräusche waren erst einmal erloschen. Dafür hörten sie Bruder Carolus die Schurken laut verfluchen. Er schien vor ihnen davonzulaufen, jedoch nicht in ihre Richtung, denn seine Rufe und auch die Schreie der Angreifer entfernten sich von ihnen. Kurz darauf hörten sie den Karmeliter noch den heiligen Jakobus anrufen, dann erstarb seine Stimme mitten im Wort.
    Keiner wagte etwas zu sagen. Sie sahen sich an und fragten sich, was mit ihren Gefährten geschehen war. Nun aber erscholl der Schrei einer Frau und zeigte ihnen, dass die Schurken sich noch immer in der Nähe aufhielten und Renata entdeckt hatten.
    In der darauf folgenden Zeit wünschte Tilla sich, taub zu sein,denn Renatas Kreischen und Flehen steigerte sich von einem Augenblick zum anderen.
    Hedwig zitterte vor Angst, es hörte sich so an, als fiele die ganze Horde über ihre Gefährtin her. »Sie bringen sie um! Heilige Jungfrau, hilf ihr und beschütze uns. Wenn die Kerle uns finden, ergeht es uns genauso.«
    Es schien eine halbe Ewigkeit zu vergehen, bis Renatas Schreie verstummten und auch die anderen Geräusche nachließen. Es klangen noch einzelne Rufe der Söldner auf, dann trat eine Stille ein, die die Menschen in ihrem Versteck erst recht erschauern ließ.
    Hedwig ließ die vor sich hin wimmernde Anna los und barg ihr Gesicht in den Händen. »Wie können Menschen nur so etwas tun?«
    Tilla gab keine Antwort, sondern streichelte Anna, die sich wie ein kleines Kind an sie klammerte, und versuchte, das Grauen niederzuringen, das sie erfasst hatte. Lebte Renata noch, fragte sie sich, Und was war mit Sebastian, Starrheim und Ambros? Hatten sie ein Ende unter den Schwertern der Marodeure gefunden? Sie wagte nicht, das Versteck zu verlassen und draußen nachzusehen.
    Auch von den anderen machte niemand Anstalten, die zerklüfteten Felsen hochzuklettern. Sie alle wussten, dass ihnen mehr Heilige im Himmel beigestanden hatten als jemals zuvor. In den Kampf mit ihren Gefährten und dem fremden Ritter verstrickt, hatten die Söldner anscheinend nicht wahrgenommen, wie viele Leute vor ihnen geflohen waren, und geglaubt, alle erwischt zu haben. Die Freunde, die draußen geblieben waren, hatten einen hohen Preis für die Unversehrtheit derer zahlen müssen, die hier Zuflucht gefunden hatten. Tilla wurde die Vorstellung nicht los, Sebastian blutüberströmt und entstellt draußenim Staub liegen zu sehen, und ihr graute vor dem Tag, an dem sie Koloman Laux die Nachricht vom Tod seines jüngeren Sohnes überbringen musste.
    Ausgerechnet Sebastians Stimme aber war es, die sie aus den trüben Gedanken riss. »Tilla! Vater Thomas! Wo seid ihr? Bei Gott, hoffentlich leben sie noch! Hört ihr mich?«
    »Sebastian!« Tilla schoss aus dem Versteck, suchte sich eine Stelle, an der sie hochklettern konnte, und war beinahe so schnell oben wie eine Eidechse. Als sie sich aufrichtete, sah sie den Freund ihrer Kindertage auf sich zukommen. Ungläubig starrte sie ihn an. »Du lebst!«
    »Wenigstens halb!« Sebastian versuchte zu lächeln, doch er brachte nur eine verzerrte Grimasse zustande. Blut lief über seine Stirn und sein linker Arm hing schlaff herab. Seine Stimme zitterte, als er seinen Bericht heraussprudelte.
    »Nachdem wir uns so unbedacht auf die Söldner gestürzt hatten, mussten wir rasch die Beine in die Hand nehmen. Wir hatten die Hoffnung, dass ihr in der Zwischenzeit genug Verstand hattet, euch ein sicheres Versteck zu suchen. Aber dann sahen wir, dass ihr noch in der Gegend herumgestanden seid, und sind noch einmal auf die Kerle losgegangen. Ich erhielt einen Schlag über den Schädel, aber Gott sei Dank mit der flachen Klinge, und war für einen Augenblick wie betäubt. Hätte Bruder Carolus es nicht gesehen, wäre es um

Weitere Kostenlose Bücher