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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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anblickte. »Ehrwürdiger Vater, nehmt mich wieder mit! Ich …« Ein Schluchzen ließ Sepp verstummen.
    Der Pilgerführer musterte ihn eindringlich und spürte die Qual, die in dem Mann wütete. Irgendetwas Schlimmes musste geschehen sein, aber er wollte nicht an dieser Stelle in Sepp dringen. Er atmete tief durch, zählte die Köpfe seiner Herdeund fand die Zahl Zwölf einschließlich seiner eigenen Person bestätigt.
    »Da es der Wille des heiligen Jakobus ist, sollst du uns begleiten, mein Sohn. Dein Herz aber darfst du erst an einem heiligen Ort erleichtern. Jetzt setz dich zu uns und ruhe dich ein wenig aus. Schon bald werden wir mit dem Abstieg beginnen, denn ich will noch vor dem Abend in Roncevalles sein und am Grabe des Recken Roland beten. Zwar zählt er nicht zu den Heiligen unserer apostolischen Kirche, aber man muss auch ihn einen Märtyrer nennen, denn er starb im Kampf gegen die maurischen Heiden, die Kaiser Karls Heer in verräterischer Absicht gefolgt waren und es an dieser Stelle überfielen.«
    Die anderen wollten nun mehr über den sagenhaften Ritter wissen und über die Art, wie er gestorben war. Daher erzählte Vater Thomas ihnen die Geschichte von dem Feldzug Karls des Großen gegen die Mauren in Saragossa und dem Ende seiner von Roland geführten Nachhut in der Schlucht von Roncevalles.
    Gefangen von dem Bericht verweilten die Pilger länger, als ihr Pilgerführer gewollt hatte, und mussten sich dann sputen, um ihr Ziel noch bei Tageslicht zu erreichen.

II.
    Der Ort Roncevalles lag von einem lichten Wald umgeben in der Talsenke und bestand aus mehreren Kapellen und Kirchen und dem großen Pilgerhospiz, in dem die von der Überquerung des Ibañeta-Passes erschöpften Pilger rasten und sich erholen konnten. Auch diejenigen, die von Süden kamen und den Pass in Richtung Heimat überqueren wollten, sammelten an dieserStätte noch einmal Kraft. Die Stimmung des von hohen Bergen umgebenen Ortes übte auch auf die Gemüter der Gruppe einen beruhigenden Einfluss aus. Selbst Sebastian, der immer stärker mit sich und seinem Schicksal haderte, vermochte sich diesem Zauber nicht zu entziehen.
    Nach einem Gebet in der Kapelle des Heiligen Geistes, die über Ritter Rolands Grab errichtet worden war, begaben Tilla und ihre Begleiter sich in das Pilgerhospiz. Die Mönche begrüßten sie freundlich und teilten ihnen je einen Napf Suppe und ein Stück Brot zu. Während sie bei Vater Thomas und anderen, des Lateins kundigen Pilgern diese Sprache verwendeten, verständigten sie sich untereinander in einem Idiom, das in Tillas Ohren noch fremdartiger klang als die Dialekte der Franzosen. Während sie bei ihrer Reise durch Frankreich einige Begriffe der nördlichen wie auch der südlichen Mundart hatte aufschnappen können, gab sie es hier rasch auf und wandte sich an Vater Thomas.
    »Verzeiht, ehrwürdiger Vater, aber die Leute sprechen hier arg seltsam.«
    »Das finde ich auch«, erklärte Sebastian, der Tilla daran erinnern wollte, dass es ihn noch gab.
    Vater Thomas lächelte begütigend. »Die guten Leute hier sind Navarrer und sprechen die Sprache der Bergbewohner, die man Vasconen oder Basken nennt. Man sagt, man müsse als solcher geboren sein, um diese Sprache erlernen zu können, und nachdem ich es vor vielen Jahren vergebens versucht habe, glaube ich es auch. Die meisten anderen Sprachen Europas sind in gewisser Weise miteinander verwandt …«
    »Selbst das Deutsche und das Französische?«, unterbrach Sebastian ihn überrascht.
    »Selbst diese beiden«, erklärte der Pilgervater mit Nachdruck.
    »Die Vasconen jedoch behaupten, ihre Sprache sei unverändert, seit Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben worden sind.« »Welch eine Anmaßung!«, fuhr Starrheim auf.
    »Adam und Eva haben gewiss die Sprache unseres Herrn Jesus gesprochen«, sagte Tilla nachdenklich. Die anderen waren ebenfalls dieser Meinung, und selbst Vater Thomas, den die Zurücksetzung des edlen Lateins schmerzte, nickte zustimmend.
    Die Unterhaltung erstarb und kam erst wieder in Gang, als sich eine Gruppe zu ihnen gesellte, die auf dem Rückweg in die Heimat war. Es handelte sich um Pilger aus Köln, die Vater Thomas und seine Begleiter als Landsleute erkannt hatten und froh zu sein schienen, wieder deutsche Laute zu hören, auch wenn sie ihren rheinischen und Thomas’ Pilger den schwäbischen Dialekt verwendeten.
    »Passt gut auf und hört euch gründlich um, wenn ihr weiterzieht«, erklärte der Pilgerführer der Kölner.

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