Die Pilgerin
zart geformten Gesicht unter dem breitkrempigen Pilgerhut allerliebst aus. »Ich bete darum, dass wir Herrn Rudolf bald treffen.«
So klingt die Sprache der Liebe, dachte Tilla und stieß einen tiefen Seufzer aus. Blanche konnte sich Starrheims Zuneigung sicher sein, denn von ihm war der Befehl gekommen, ihr die Pilgerreise so weit wie möglich zu erleichtern. Das hatte öfter zu einem harten Disput mit ihren kastilischen Begleitern geführt, die ihr nicht erlauben wollten, auch nur die kleinste Strecke zu Fuß zurückzulegen.
»Ich glaube, wir müssen nicht bis Santiago warten, um Graf Rudolf zu sehen!« Peter wies auf eine größere Schar Berittener, die rasch aufholte. Der Edelmann an der Spitze trug einen Pilgerhut und von seinen Schultern wehte die Pelerine im Wind. Als die Reiter näher kamen, konnten sie erkennen, dass nicht Rudolf von Starrheim den Trupp anführte, sondern ein noch hochrangigerer Edelmann. Der Waffenrock, den dieser unter der Pelerine trug, war mit dem Wappen Kastiliens geschmückt, einer Burg mit drei Türmen, und mit dem aufrecht schreitenden, gekrönten Löwen von León.
Der Anführer der Pilgereskorte forderte seine Männer und seine Schützlinge mit barschen Worten auf, die Köpfe zu neigen, doch seine Worte waren überflüssig, denn alle hatten in dem Edelmann Heinrich von Trastamara erkannt, der seit wenigen Wochen unumschränkter König des Kastilischen Reiches war. Er ritt im flotten Trab an der Gruppe vorbei und grüßte dabeimit der rechten Hand, während er mit der Linken die Zügel und einen Pilgerstab hielt.
Tilla wagte es, ein wenig aufzusehen, und erhaschte einen kurzen Blick auf das Gesicht des Königs. Er mochte zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein und wirkte trotz des Sieges über seinen Halbbruder und Widersacher Pedro, der von Heinrichs Anhängern mit dem Beinamen der Grausame versehen worden war, immer noch verkniffen und wie auf der Hut.
Ihm folgte du Guesclin, den die Strapazen des Kriegszugs noch hässlicher wirken ließen. Auch er trug eine Pelerine und einen Pilgerhut, aber auf den Stock, der hoch zu Pferde recht unpassend wirkte, hatte er ebenso verzichtet wie Aymer de Saltilieu, der dicht hinter ihm ritt.
Tilla spürte eine gewisse Erleichterung, Saltilieu wohlbehalten wiederzusehen, denn sie empfand durchaus Sympathie für ihn. Dann entdeckte sie Starrheim, der fröhlich seinen Hut schwang und lachend grüßte. Sein Blick suchte Blanche, doch auch sein Pferd trabte so rasch vorbei, dass er ihren freudigen Ruf nicht mehr hören konnte. Hinter ihm hielt einer der dem Grafen folgenden Reiter an, sprang von seinem Pferd und stiefelte lächelnd auf Tilla zu. Im ersten Augenblick erkannte sie ihn nicht, denn er trug die Gewandung eines Edelmanns mit einem kostspieligen Brokatwams und Strümpfen aus feinster Wolle, die so stramm an seinen Schenkeln saßen, dass es in ihren Augen unanständig aussah. Erst als sich der Mann vor ihr aufbaute, begriff sie, dass es Sebastian war.
Die Freude, ihn gesund wiederzusehen, ließ Tilla alles andere vergessen. Noch bevor sie selbst wusste, was sie tat, fiel sie ihm lachend um den Hals und küsste ihn auf den Mund.
Sebastian wirkte überrascht, ließ es aber geschehen. Dann schloss er Tilla in die Arme und spürte, wie ihm bei der Berührungihres festen Körpers das Blut in die unteren Regionen schoss. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle gepackt und wäre mit ihr hinter dem nächsten Gebüsch verschwunden. Er wusste allerdings, dass er sich allein schon bei dem Versuch, sie mit sich zu ziehen, etliche derbe Ohrfeigen einfangen würde. Daher beließ er es dabei, zärtlich über ihren Rücken zu streichen.
Tilla schnurrte beinahe wie ein Kätzchen und musste an sich halten, um nicht vor allen Leuten den Anblick eines losen Frauenzimmers zu bieten. Daher schob sie ihn ein Stück von sich weg und musterte ihn von oben bis unten. »Bist du auch heil?« »Freilich! Die eine oder andere Schramme habe ich mir natürlich zugezogen, aber die Wunden verheilen recht gut. Willst du sie sehen?«
Obwohl Tilla durchaus interessiert war, schüttelte sie den Kopf. »Später in der Pilgerherberge! Jetzt sollten wir das letzte Stück hinter uns bringen. Der König und seine Begleiter haben die Stadt wohl schon erreicht. Musst du ihnen nicht folgen?«
»Nein! Ich habe Urlaub erhalten, so lange ich will. Starrheim und Saltilieu waren mit mir ebenso zufrieden wie du Guesclin. Daher hat der König sich als äußerst großzügig
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