Die Pilgerin
finden. Doch Sebastian war unterwegs erwachsen geworden und hatte gelernt, Verantwortung zu tragen. Auch Tilla hatte sich verändert. Sie war nicht weniger stark als zu Beginn der Reise, aber aus einem sich tief verletzt fühlenden Wesen war eine selbstbewussteFrau geworden, die ihr Leben in die Hand nehmen konnte.
Nun lächelte Vater Thomas etwas wehmütig. »Das war die ereignisreichste Pilgerfahrt, die ich je unternommen habe, und es wird wohl auch die letzte sein. Wenn ich wieder in die Heimat zurückgekehrt bin, werde ich meinen Bruder bitten, mir eine Pfründe in der Nähe seiner Burg zu verschaffen, damit ich dort als Seelsorger wirken kann. Sicher wird es mir nicht leicht fallen, Santiago niemals mehr wiederzusehen …«
Er verstummte, als bedaure er seine Worte bereits, doch sein wechselndes Mienenspiel verriet den jungen Leuten, dass er sich auf ein Kirchlein in der Nähe von Ulm freute und eine Gemeinde, die sich nur durch Geburt und Tod verändern würde und die er nicht jedes Jahr aufs Neue zusammensuchen musste.
Die anderen spürten seinen Wunsch, nun mit sich und seinen Gedanken allein zu sein, und unterhielten sich leise. Sebastian musste noch etliches von seinem Kriegszug berichten und wollte seinerseits erfahren, was seinen Freunden unterwegs begegnet war.
»Wir haben einen friedlichen Winter ohne jede Aufregung verlebt. Berichte lieber du.« Blanche vergaß dabei ganz Renatas Heirat mit Peter und ließ auch die Engländer außer Acht, die durch Puente la Reina marschiert waren, denn sie wollte unbedingt mehr über Rudolf von Starrheims Taten erfahren. Es kostete sowohl Tilla wie auch Sebastian einige Mühe, den kleinen Quälgeist so weit zur Vernunft zu bringen, dass er endlich Ruhe gab. Als sich die Dunkelheit über die Stadt senkte, brachten aufmerksame Mönche das Nachtmahl, das anders als unterwegs nicht nur aus einem Napf Suppe und einem Stück Brot bestand, sondern zusätzlich aus gebratenem und gesottenemFleisch. Auch wurde der Wein ihnen nicht becherweise zugeteilt, sondern in einem großen Krug serviert, der, wie einer der Klosterbrüder erklärte, nachgefüllt werden würde, wenn sie danach riefen.
Ein guter Tropfen war genau das, was die Gruppe brauchte. Selbst Tilla trank mehr als einen Becher und wurde danach angenehm müde. Als sie sich ihren Schlafplatz aussuchte, legte Sebastian sich neben sie und fasste sie an der Schulter. »Ich freue mich, dass wir beide den Weg hierher gefunden haben.« Es klang etwas zweideutig, vor allem, weil er seine Hüfte an ihren Hinterbacken rieb.
»Lass das! Dafür bin ich zu müde«, murmelte Tilla noch, dann schlief sie ein.
Sebastian grinste fröhlich, denn das hatte sich nicht so angehört, als würde er noch lange warten müssen, bis sie sich ihm hingab. Sollte sie vorher auf das Ehegelübde bestehen, würde er Vater Thomas bitten, den Trausegen über sie zu sprechen. Dann hätte die Reise sich für ihn sogar mehrfach gelohnt, denn zu der Belohnung durch den kastilischen König und dem seltsamen Titel, mit dem er sich jetzt schmücken durfte, würde er eine wundervolle Frau gewinnen.
Anders als seine Gefährten hatte Ambros sich beim Wein keine Schranken gesetzt und war schwer betrunken auf sein Lager gesunken. Anna hatte ihn mit Hedwigs Hilfe noch so zurechtgezerrt, dass er den anderen nicht im Weg lag, und sich dann neben ihn gesetzt. Nun sah sie Hedwig kopfschüttelnd an. »Warum glauben Männer immer, dass ein Rausch ihnen Erleichterung bringt?«
»Meiner Erfahrung nach macht er nur dumme Köpfe. Es wird für Ambros schwer werden, den morgigen Tag zu überstehen, und ich muss sagen, ich vergönne es ihm.« Die ältere Frau maßden Betrunkenen mit einem spöttischen Blick, während Anna ihn fürsorglich mit seiner Pelerine zudeckte.
»Mir tut er leid!«
»Du bist ein Schaf! Nun ja, vielleicht ist das in deinem Fall das Beste. Aber jetzt will ich schlafen. Du solltest es auch tun, denn der morgige Tag wird sehr anstrengend werden!«
Hedwig suchte sich ein Plätzchen, an dem sie sich ausstrecken konnte, und legte sich nieder. Anna folgte ihrem Beispiel, blieb aber in Ambros’ Nähe, um ihm helfen zu können, wenn es nötig sein sollte. Dabei seufzte sie tief, denn sie hoffte, er würde wieder zu sich selbst finden. Es waren nicht alle Männer zu Helden berufen, und er musste endlich begreifen, was für ihn wirklich wichtig war. Dann konnte auch er in seinem Leben noch Großes vollbringen.
III.
Kurz nach dem Wecken begann die
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