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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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überqueren zu können. Ihr Anführer hatte ihnen jedoch eben sehr deutlich klargemacht, dass nicht Eile geboten war, sondern Ehrfurcht gegenüber Gott und dem heiligen Apostel, dessen Grab sie besuchen wollten.

IX.
    Die Überfahrt nach Konstanz war ein Teil der Reise, an den Tilla sich später nur ungern erinnerte. Wie Vater Thomas prophezeit hatte, war das Wetter schlechter und stürmischer geworden. Trotzdem beförderten die Schiffer Waren und Passagiere über den See. Pilger zählten nicht zur beliebtesten Fracht, denn sie wollten zumeist für Gottes Lohn übergesetzt werden,aber nur selten wurde ihnen der Einstieg auf eines der Schiffe verwehrt. Jene Schiffer, die sie umsonst mitnahmen, und jene Reisenden, die für einige von ihnen die Fahrt bezahlten, hofften, ein Teil des Segens, den die Wallfahrer auf ihrer Pilgerreise errangen, würde mit der guten Tat auf sie übergehen und ihnen noch in diesem oder zumindest im anderen Leben helfen.
    Der Wind peitschte quer über den See und türmte die Wellen so hoch auf, dass selbst schwer beladene Schiffe wie Nuss-Schalen schwankten. Dazu prasselte der Regen in immer wiederkehrenden Schauern über die Menschen. Tilla und die anderen schlangen ihre Pelerinen eng um sich und drehten sich mit dem Rücken zum Wind, damit der Regen ihnen nicht in die Augen sprühte. Vater Thomas verhandelte derweil mit einem der Schiffer, einem baumlangen Kerl, der aussah, als könnte er die Stange, mit der er sein Boot abstoßen wollte, mit einer Hand führen.
    Es dauerte eine Weile, bis die beiden handelseinig geworden waren und der Pilgerführer zu seiner Gruppe zurückkehren konnte. »Wir können einsteigen. Doch unterwegs sollten wir kräftig beten, damit unser Schiffer und natürlich auch wir den Hafen von Konstanz heil erreichen.«
    Tilla musste den Prahm nur ansehen, um zu begreifen, was Vater Thomas meinte. Der Rumpf des Schiffleins lag so tief im Wasser, dass die Wellen bereits hier am Steg über die Bordwand zu rollen drohten. Und auf so ein Gefährt sollte sie steigen? Sie sah ihren Führer entsetzt an, doch dieser segnete das Schiff und ließ sich von einem Knecht an Bord helfen. Manfred, der heute mit dem Tragen des Kreuzes an der Reihe war, folgte ihm ohne zu zögern, und die Zwillingsschwestern, deren Gottvertrauen unerschütterlich zu sein schien, kletterten dicht hinter ihm über die Bordwand. Sie schienen zu glauben, der heilige Jakobus würde aufgrund ihres Schwurs, unter allen Umständen nachSantiago zu pilgern, dafür sorgen, dass sie heil an ihr Ziel gelangten.
    Hedwig schloss sich den beiden an, und Dieter, Ambros, Peter und Sepp zögerten ebenso wenig. Nun fühlte Tilla den mahnenden Blick Vater Thomas’ auf sich gerichtet und biss die Zähne zusammen. »Vater, hilf mir!«, flehte sie in Gedanken und wusste dabei nicht so recht, ob sie ihren eigenen Vater oder Gott im Himmel damit meinte.
    Sie lief bis zur Spitze des Stegs, weil der Prahm sich dort ganz dicht an das Holz schmiegte, stieg hinab in das Boot und schob sich zwischen zwei Ballen, damit der Wind sie nicht so traf. Vater Thomas aber kletterte auf den höchstgelegenen Platz, damit er alle seine Schäfchen im Auge behalten konnte.
    Hermann und Robert schienen am Ufer festgewachsen zu sein, denn sie starrten auf den Prahm und rührten sich nicht. Der Schiffer war bereits ans Ruder getreten, während sein Knecht die Leine in der Hand hielt, um das Schiff vom Ufer zu lösen.
    »Was ist jetzt?«, bellte er die beiden jungen Männer an. »Macht, dass ihr auf das Schiff kommt! Wir warten nicht!« Dabei nickte der Schiffer seinem Knecht zu, das Seil an Bord zu holen.
    Roberts Gesicht war weiß vor Angst, und Tilla sah, wie seine Kiefer zitterten. Steif wie eine Gliederpuppe setzte er einen Fuß auf die Bordwand, schien aber noch immer nicht recht zu wissen, ob er das schwankende Gefährt betreten sollte oder nicht. Dem Schiffsknecht wurde es zu dumm. Er packte ihn am Kragen und zog ihn wie ein widerspenstiges Kalb auf den Prahm. Jetzt besann sich auch Hermann, sprang mit einem weiten Satz an Bord, stolperte über ein Fass und fiel Tilla vor die Füße.
    »Zu viel der Ehre!«, spottete sie, während er sich kurz schüttelte und sich dann wieder aufraffte.
    »Trottel!«, gab er wenig höflich zurück und suchte sich einenPlatz, der ihm halbwegs sicher erschien. Dabei scheuchte er seine Tanten von dem in ein Öltuch gehüllten Ballen, auf den sie sich gesetzt hatten, so dass diese sich neben Hedwig an die Bordwand

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