Die Pilgerin
kannte. Daher begann er, schlanke junge Männer mit hübschen Gesichtszügen zu mustern, und erregte damit unerwünschte Aufmerksamkeit. Er sah spöttische Blicke auf sich gerichtet und nahm verächtliche Gesten wahr, die offensichtlich ihm galten. Schließlich kam ein Bettelmönch vom Orden der Karmeliter auf ihn zu, der in derselben Klosterherberge bei Sankt Gallen übernachtete.
»Was du tust, ist nicht gottgefällig, mein Sohn.«
Sebastians Kopf ruckte hoch. »Wie meint Ihr das, ehrwürdiger Bruder?«
»Wenn ein junger Mann wie du einem hübschen Mädchen nachsieht, mag man ihn um seiner unkeuschen Gedanken willen schelten, doch es ist ganz natürlich, wenn er es tut. Du aber starrst deinesgleichen an, als wolltest du ihnen bis auf die Haut schauen, und das ist Sünde.« Die Stimme des Mönchs klang so zornig, als hätte er Sebastian eben bei der Ausübung verbotener Dinge erwischt.
Sebastian breitete entschuldigend die Hände aus. »Verzeiht, ehrwürdiger Bruder, doch es ist nicht so, wie Ihr annehmt. Ich bin auf der Suche nach meinem Vetter, der sich auf eine Wallfahrt begeben hat und das Grab des heiligen Apostels Jakobus im fernen Spanien aufsuchen will. Leider habe ich ihn nur als Kind getroffen, glaube aber, ihn wiedererkennen zu können. Aus diesem Grund sehe ich mir die Gesichter der jungen Männeran. Sollte ich ihn treffen, werde ich mich ihm anschließen und ebenfalls nach Santiago pilgern.«
Der Blick des Karmeliters drückte Zweifel aus, da Sebastian nicht die Tracht eines Pilgers trug, sondern die derbe Reisekleidung eines Mannes, der eher zur Schicht der wohlhabenden Händler und Kaufleute zählte. »Eine Pilgerfahrt ist etwas Heiliges und man sollte sie nie übereilt antreten!«
»Der Wunsch überkam mich so plötzlich, dass ich mich ungesäumt auf die Reise gemacht habe.« Sebastian begann zu schwitzen, so setzte der Mönch ihm zu.
»Es mag Gottes Wille gewesen sein oder der des heiligen Jakobus, der dich aufbrechen ließ«, gab der andere widerwillig zu. »Doch dann kleide dich auch, wie es einem frommen Pilgrim zukommt, und bete an den Bildstöcken und Kapellen, auf die du unterwegs triffst, auf dass der Segen des Himmels dich begleite.«
Für einen Augenblick verzog Sebastian das Gesicht. Wenn er, wie von dem Mönch gefordert, die Tracht der Pilger anzog, war dies gleichbedeutend mit dem Gelöbnis, nach Santiago zu wallfahren. Bis jetzt hatte er gehofft, er könne Tilla, wenn er auf sie traf, ihr Vorhaben ausreden und sie nach Hause bringen. Er erinnerte sich jedoch an den Ernst, mit dem sein Vater über Tilla und ihren Willen gesprochen hatte, das Herz ihres Vaters zum Grab des Apostels zu bringen. Während der Mönch ihn eindringlich ermahnte, wurde ihm klar, dass es wahrscheinlich nicht so gehen würde, wie er sich das vorgestellt hatte. Wenn Tilla Pilgerkleidung trug und schon an vielen Orten gebetet hatte, durfte sie nicht mehr umkehren, wenn sie nicht ihr eigenes Seelenheil gefährden wollte. Es mochte sogar sein, dass sie seine Begleitung ablehnte, wenn er nicht ebenfalls zum Pilger werden würde. Da er nun einmal die Aufgabe übertragen bekommenhatte, sie zu beschützen, würde er sich wohl oder übel ihrem Ziel gemäß kleiden, sich einen Pilgerbrief besorgen und die zur Wallfahrt gehörenden Riten einhalten müssen.
Er ergriff die Hand des Karmeliters und küsste sie, obwohl sie nicht gerade sauber war, und sah ihm dann strahlend ins Gesicht. »Ihr habt Recht, ehrwürdiger Bruder. Möge Gott, unser Vater im Himmel, mich unter die Schar der Jakobuspilger aufnehmen. Wenn Ihr so freundlich sein und mir dabei helfen wollt?«
Der Mönch nickte. »Es sei! Ich bin auf dem Weg nach Einsiedeln, um am Grabe des heiligen Meinrad zu beten, und rate dir, ebenfalls diesen heiligen Ort aufzusuchen.«
»Einsiedeln war mein Ziel«, versicherte Sebastian und bat einen der einheimischen Mönche, der mit einem Krug Wein umherging, ihm und dem Karmeliter zwei volle Becher einzuschenken. Eine kleine Münze unterstützte den Wunsch. Sein neuer Begleiter trank den Wein geradezu gierig und schien plötzlich wie verwandelt. Da war nichts mehr von Strenge und Gottes Zorn, denn er lobte Sebastian für dessen Entschluss, zum Grab des Apostels zu pilgern, in höchsten Tönen, und zeigte schließlich auf ein paar junge Pilger, die eben den Herbergssaal betraten.
»Das sind doch schmucke Burschen, nicht wahr? Kein Weib in seiner Schlechtigkeit, die Gott ihnen leider gelassen hat, vermag sich mit einem
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