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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Gesichtsausdruck wechselte eigentlich nur zwischen deprimiert und desinteressiert. Das Lächeln, das sich gelegentlich auf seine Lippen stahl, war von intellektueller Ironie beherrscht.
    Eines Tages sprach Midorigawa den jungen Haida an, als dieser hinter dem Haus Holz zerkleinerte.
    »Trinkst du Alkohol?«
    »In Maßen«, antwortete Haida.
    »Das reicht. Kannst du mir heute Abend Gesellschaft leisten? Ich habe es satt, alleine zu trinken«, sagte Midorigawa.
    »Ich habe abends einiges zu tun, vor halb acht kann ich nicht.«
    »In Ordnung. Komm gegen halb acht in mein Zimmer.«
    Als Haida zur verabredeten Zeit auf Midorigawas Zimmer kam, stand ein Abendessen für zwei Personen bereit. Die beiden setzten sich einander gegenüber und aßen. Midorigawa verzehrte kaum die Hälfte seiner Mahlzeit und sprach vor allem dem Alkohol zu. Ohne etwas von sich zu erzählen, befragte er Haida zu seinem Heimatort (Akita) und seinem Leben an der Universität in Tokio. Als er erfuhr, dass Haida Philosophie studierte, stellte er ihm einige Fragen aus diesem Gebiet. Zu Hegels Weltbild. Zu Platon. Midorigawas eigenen Äußerungen war zu entnehmen, dass er regelmäßig auch solche Bücher las und nicht nur triviale Kriminalromane.
    »Aha, du glaubst also an die Logik«, sagte Midorigawa.
    »Ja, im Grunde schon. Ich glaube an sie und verlasse mich auf sie. Sie gilt ja auch als Begründerin der Wissenschaften«, sagte Haida.
    »Du magst es nicht, wenn etwas der Logik widerspricht?«
    »Es geht nicht um mögen oder nicht mögen. Ich lehne Dinge, die der Logik widersprechen, nicht rundheraus ab. Die Logik ist nicht mein absolutes Glaubensbekenntnis. Für mich ist es auch eine wichtige Aufgabe, die Berührungspunkte zwischen den Dingen, die der Logik widersprechen, und dem Wesen der Logik aufzuspüren.«
    »Also glaubst du zum Beispiel an den Teufel?«
    »Teufel? Den mit den Hörnern?«
    »Ja. Allerdings weiß ich nicht, ob er wirklich Hörner hat.«
    »Als Metapher für das Böse kann ich schon an ihn glauben.«
    »Und wie ist es mit einem Teufel, in dem die Metapher des Bösen reale Gestalt angenommen hat?«
    »Keine Ahnung, solange ich ihn nicht mit eigenen Augen gesehen habe«, sagte Haida.
    »Wenn du ihn mit eigenen Augen siehst, ist es vielleicht schon zu spät.«
    »Wie dem auch sei, wir sprechen hier von etwas Hypothetischem. Um das Gespräch fortzuführen, brauchen wir ein konkretes Beispiel. Wie eine Brücke Pfeiler braucht. Je weiter man eine Hypothese ausdehnt, desto schwächer wird sie, und die Schlüsse daraus sind nicht mehr zuverlässig.«
    »Ein konkretes Beispiel?«, fragte Midorigawa. Er trank von seinem Sake und runzelte die Stirn. »Aber solche konkreten Beispiele gehen manchmal auf einen Punkt zurück, bei dem es entweder akzeptieren oder nicht akzeptieren, glauben oder nicht glauben heißt. Ohne einen Mittelweg. Man muss sozusagen einen geistigen Sprung vollziehen, bei dem die Logik außer Kraft gesetzt ist.«
    »Dann ist sie eben zu dem Zeitpunkt außer Kraft. Es gibt ja kein Handbuch der rechten Augenblicke für die Logik. Aber vielleicht besteht später die Möglichkeit, sie anzuwenden.«
    »Später ist es manchmal zu spät.«
    »Spät oder nicht spät – das ist keine Frage der Logik.«
    Midorigawa lachte. »Da hast du recht. Auch wenn man weiß, dass es später zu spät sein kann, hat das mit Logik nichts zu tun. Ein gutes Argument. Dem kann ich nicht widersprechen.«
    »Haben Sie so etwas schon einmal erlebt? Ich meine, dass Sie etwas akzeptiert und geglaubt haben, das der Logik widerspricht?«
    »Ach was«, sagte Midorigawa. »Ich glaube an gar nichts. Weder an die Logik noch an die Unlogik, weder an Gott noch an den Teufel. Weder an das Ausdehnen von Hypothesen noch an irgendwelche geistigen Sprünge. Ich akzeptiere die Dinge an sich, ohne nachzufragen. Das ist mein Grundsatz. Man kann keine Mauer zwischen Subjekt und Objekt errichten.«
    »Aber Sie haben musikalisches Talent.«
    »Findest du?«
    »Ihre Musik hat zweifellos die Kraft, Menschen zu bewegen. Ich kenne mich mit Jazz nicht aus, aber so viel verstehe ich.«
    Midorigawa zuckte unwillig die Schultern. »Talent kann bisweilen ganz nett sein. Es macht sich gut, zieht allgemeine Aufmerksamkeit auf sich und bringt einem, wenn es gut läuft, sogar Geld ein. Und Frauen. Es ist besser, welches zu haben, als keins. Aber Talent, mein kleiner Haida, funktioniert nur auf der Basis äußerster körperlicher und geistiger Anspannung. Sobald sich irgendwo in deinem

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