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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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einer Weile sprach er.
    »Ich kenne eine seltsame Geschichte in Zusammenhang mit dem Tod.« Seine Stimme klang ungewöhnlich unsicher. »Mein Vater hat sie mir erzählt. Er sagt, er habe sie wirklich erlebt, als er zwanzig war. Also genau in unserem Alter. Ich habe die Geschichte so oft gehört, dass ich sie bis ins Detail auswendig kenne. Sie ist ziemlich merkwürdig, und ich kann noch immer nicht richtig glauben, dass sie tatsächlich passiert ist, aber mein Vater ist kein Mensch, der sich so etwas ausdenken würde. Er ist keiner, der Geschichten erfindet. Und du weißt ja, bei ausgedachten Geschichten verändern sich mit der Zeit die Details. Die Leute übertreiben oder haben vergessen, was sie vorher erzählt haben. Aber mein Vater erzählt die Geschichte jedes Mal gleich. Außerdem bin ich sein Sohn und kenne ihn gut. Deshalb glaube ich, dass er alles wirklich so erlebt hat. Aber da du meinen Vater natürlich nicht kennst, hast du die Freiheit, es zu glauben oder nicht. Du brauchst dir die Geschichte nur anzuhören. Du kannst sie ruhig für ein Märchen oder eine Gespenstergeschichte halten. Es ist schon spät, und sie ist ziemlich lang. Darf ich sie trotzdem erzählen?«
    Ja, natürlich, sagte Tsukuru, er sei noch gar nicht müde.

5
    »Als mein Vater jung war, ging er für ein Jahr auf Wanderschaft«, begann Haida. »Das war Ende der 1960er-Jahre, Studentenunruhen und Gegenkultur befanden sich auf ihrem Höhepunkt. Er hat nichts Genaueres erzählt, aber in seiner Studienzeit in Tokio wurde er wohl Zeuge von ein paar idiotischen Vorfällen, Dingen, die er so nicht akzeptieren konnte, mit dem Ergebnis, dass er sich vom politischen Kampf abkehrte und von allen Aktivitäten zurückzog. Er meldete sich zeitweise sogar von der Uni ab, um allein und ziellos Japan zu durchstreifen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit körperlicher Arbeit, wo er sie fand, in seiner Freizeit las er. Er kam mit vielen Menschen in Berührung und sammelte praktische Lebenserfahrung. Es sei die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen, sagt er immer wieder. Damals habe er die Dinge gelernt, die im Leben wichtig sind. Als ich ein Kind war, hat er uns oft von seinen Erlebnissen in dieser Zeit erzählt. Wie ein Soldat, der Geschichten aus dem Krieg erzählt. Nach seiner Wanderschaft ist mein Vater an die Universität zurückgegangen und hat sein normales Studentenleben wieder aufgenommen. Er ist nie wieder zu einer langen Reise aufgebrochen. Soweit ich weiß, ist er nur noch zwischen unserem Haus und seinem Arbeitsplatz hin- und hergependelt. Seltsam, nicht wahr? Auch in einem noch so geordneten Leben gibt es anscheinend irgendwann eine Zeit für große Umbrüche. Eine Zeit für Verrücktheiten könnte man es vielleicht nennen. Wahrscheinlich braucht jeder Mensch einen Wendepunkt wie diesen.«
    In jenem Winter arbeitete Haidas Vater als Hilfskraft in einem kleinen Gasthaus mit eigener heißer Quelle in den Bergen der Präfektur Oita. Der Ort gefiel ihm sehr, und er beschloss, sich für eine Weile dort niederzulassen. Wenn er seine Arbeit und ein paar zusätzliche Aufgaben erledigt hatte, stand ihm der übrige Tag zur freien Verfügung. Die Bezahlung war gering, aber er bekam drei Mahlzeiten und Logis und durfte das Onsen – das heiße Bad – so oft benutzen, wie er wollte. Oder er konnte in seinem winzigen Zimmer liegen und lesen, wonach ihm der Sinn stand. Die Einheimischen behandelten den schweigsamen, etwas sonderbaren Studenten aus Tokio freundlich, und das einfache Essen, das aus Zutaten frisch vom Feld zubereitet wurde, schmeckte ihm. Am besten gefiel ihm die Abgeschiedenheit des Ortes. Man konnte nicht fernsehen, denn der Empfang war zu schlecht, und die Zeitung kam immer erst mit einem Tag Verspätung. Die nächste Bushaltestelle lag drei Kilometer entfernt den Berghang hinunter, und das einzige Fahrzeug, das die schlechte Straße zum Gasthof hinauf schaffte, war der verbeulte Jeep des Wirts. Strom war erst vor Kurzem gelegt worden.
    Vor dem Ryokan, dem Gasthaus, floss ein hübscher Bergbach, in dem sich bunte Fische tummelten. An seinem Ufer zwitscherten lebhaft die Vögel, und nicht selten bekam man Wild und Affen zu sehen. Die Berghänge waren eine wahre Schatzkammer an essbaren Kräutern. In der Einsamkeit dieser Landschaft konnte Haida, der Vater, nach Herzenslust lesen und nachdenken. Was in der Welt vorging, interessierte ihn überhaupt nicht mehr.
    Nachdem er zwei Monate in dem Ryokan verbracht hatte, kam er mit

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