Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
seines Körpers mit einem schwachen Schein umgibt. Als würde er von hinten angestrahlt werden. Wie eine Hintergrundbeleuchtung. Ich kann diese Farbe ganz deutlich sehen.«
Midorigawa schenkte sich selbst Sake nach und nippte daran.
»Hatten Sie die Fähigkeit, diese Farbe zu sehen, schon immer?«, fragte der junge Haida halb ungläubig.
Midorigawa schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe sie nur vorübergehend. Ich habe sie im Austausch dafür erhalten, dass ich meinen bevorstehenden Tod akzeptiere. Sie geht von einem Menschen auf den anderen über. Jetzt ist sie mir gewährt.«
Der junge Haida schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
»Es gibt wunderschöne Farben und auch solche, die sehr unangenehm sind«, sagte Midorigawa. »Es gibt fröhliche Farben und auch traurige. Manche Menschen haben ein intensives Leuchten, bei anderen ist es schwach. Ich muss das alles sehen, auch wenn ich nicht will, und das ist ziemlich anstrengend. Deshalb meide ich Menschenmassen und habe mich hier in die Berge zurückgezogen.«
Der junge Haida konnte es kaum glauben. »Das heißt, Sie sehen auch meine Farbe?«
»Selbstverständlich. Aber ich habe nicht vor, sie dir mitzuteilen«, sagte Midorigawa. »Ich müsste einen Menschen finden, der eine bestimmte Farbe hat, die auf eine bestimmte Weise leuchtet. Nur an diesen Menschen könnte ich das Zeichen des Todes weitergeben. Denn nicht jeder kommt dafür infrage.«
»Gibt es viele Menschen auf der Welt, die diese Farbe haben?«
»Nein, nicht viele. Offenbar ist es nur einer von ein- oder zweitausend. Es ist nicht leicht, so jemanden zu finden, aber auch nicht unmöglich. Schwieriger ist es, eine Situation herbeizuführen, in der man ernsthaft und vertraulich mit diesem Menschen reden kann. Es ist vorstellbar, aber nicht so leicht.«
»Aber was müsste das denn für ein Mensch sein? Jemand, für den es in Ordnung ist, den bevorstehenden Tod eines anderen auf sich zu nehmen?«
Midorigawa lächelte.
»Tja, wer weiß? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er eine bestimmte Farbe hat und sein Körper von einem intensiven Leuchten umgeben ist. Das ist nicht mehr als eine äußere Besonderheit. Aber wenn ich meine persönliche Meinung sagen darf, fürchten diese Menschen sich nicht davor zu springen. Und wenn du mich fragst, warum das so ist, würde ich sagen, jeder hat wahrscheinlich andere Gründe für seine Furchtlosigkeit.«
»Aber wozu sollten sie springen, selbst wenn sie den Sprung nicht fürchten?«
Midorigawa schwieg einen Moment lang. In der Stille schien das Rauschen des Bergbaches lauter zu werden. Dann grinste er.
»An der Stelle beginnt das Verkaufsgespräch.«
»Bitte, erklären Sie mir das«, sagte der junge Haida.
»In dem Moment, in dem wir hinsichtlich der Übernahme des Todes übereingekommen sind, wird dir eine außergewöhnliche Gabe zuteil werden. Man könnte es als eine besondere Fähigkeit bezeichnen. Die Farben zu erkennen, die die einzelnen Menschen aussenden, ist nichts weiter als ein Merkmal dieser Fähigkeit. Sie basiert auf dem Umstand, dass dein Bewusstsein sich erweitert. Du wirst öffnen, was Aldous Huxley die ›Pforten der Wahrnehmung‹ nennt. Deine Wahrnehmung wird unvermischt und rein sein. Alles wird klar werden, wie wenn Nebel sich lichtet. Du wirst eine Landschaft überblicken, die für gewöhnlich nicht sichtbar ist.«
»War Ihre Darbietung auf dem Klavier neulich auch ein Ergebnis davon?«
Midorigawa schüttelte kurz den Kopf. »Nein, die kam aus meiner eigenen Kraft. So etwas habe ich ja schon die ganze Zeit gemacht. Die Wahrnehmung ist etwas, das sich selbst vervollkommnet. Sie bringt kein konkretes, nach außen projiziertes Ergebnis hervor. Und sie ist weder ein Segen noch eine Gnade. Es ist unmöglich, mit Worten zu beschreiben, was sie ist. Man kann es nur selbst erfahren. Eines kann ich jedoch sagen: Wenn du den wahren Anblick einmal gesehen hast, erscheint dir die Welt, in der du bisher gelebt hast, furchtbar flach. Dieser Anblick ist weder logisch noch unlogisch. Weder gut noch schlecht. Alles verschmilzt zu einem Ganzen. Und du selbst bist auch Teil dieses Ganzen. Du bist von deinen physischen Grenzen befreit, wirst sozusagen eine metaphysische Existenz. Du wirst reine Intuition. Das ist ein herrliches und zugleich trostloses Gefühl. Und ganz zum Schluss erkennst du, wie schal und ohne jede Tiefe dein bisheriges Leben war. Entsetzt fragst du dich, wie du dieses Leben überhaupt aushalten konntest.«
»Sie glauben also,
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