Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
Erstaunen kränkte es ihn sogar etwas. Die vier anderen nannten einander natürlich sofort nach ihren Farben: Aka, Ao, Shiro und Kuro. Rot, Blau, Weiß und Schwarz. Nur er blieb weiterhin bloß Tsukuru. Immer wieder überlegte er, wie schön es gewesen wäre, wenn auch er eine Farbe in seinem Namen gehabt hätte. Dann wäre alles perfekt gewesen.
Aka war ein hervorragender Schüler mit ausgezeichneten Noten. Obwohl er nie besonders viel lernte, gehörte er in allen Fächern zu den Besten. Aber er bildete sich nichts darauf ein, sondern achtete immer sehr darauf, sich nicht vorzudrängen. Als würde er sich für seinen überragenden Intellekt schämen. Doch wie man es bei kleinen Menschen häufig findet (er war nicht größer als einen Meter sechzig), neigte er dazu, keinesfalls nachzugeben, wenn er sich einmal zu etwas entschlossen hatte, und war es noch so nebensächlich. Es kam häufig vor, dass er wegen unsinniger Vorschriften oder Kompetenzfragen ernsthaft wütend auf einen Lehrer wurde. Er verlor nicht gern und reagierte beleidigt, wenn er im Tennis geschlagen wurde. Auch wenn man ihn nicht gerade einen schlechten Verlierer nennen konnte, wurde klar, dass er eingeschnappt war. Die anderen lachten über seine Reizbarkeit und zogen ihn damit auf. Bis Aka zum Schluss selber lachen musste. Sein Vater hatte eine Professur für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Nagoya.
Ao war Stürmer in einer Rugby-Mannschaft und verfügte über eine beneidenswerte Konstitution. In der zwölften Klasse wurde er Kapitän seiner Mannschaft. Er hatte breite Schultern und einen massigen Brustkorb, eine ausgeprägte Stirn, einen großen Mund und eine kräftige, fleischige Nase. Er war ein aggressiver Spieler und hatte ständig Verletzungen. In der Schule war er nicht gerade fleißig, aber er hatte ein heiteres Gemüt, und viele mochten ihn. Er sah den Menschen gerade in die Augen und sprach mit lauter, fester Stimme. Er verfügte über einen erstaunlichen Appetit, und ihm schien alles hervorragend zu schmecken. Er redete nie schlecht über andere und konnte sich Namen und Gesichter auf Anhieb merken. Er war ein guter Zuhörer, und andere zu motivieren war seine Stärke. Tsukuru konnte sich noch erinnern, wie Ao vor jedem Rugby-Match mit seinen Spielern einen Kreis bildete und sie anfeuerte.
»Auf geht’s, wir gewinnen!«, schrie er. »Niederlage kommt nicht infrage!« Das war sein Schlachtruf.
»Niederlage kommt nicht infrage!«, antworteten die Spieler und stürmten aufs Feld.
Dennoch war sein Rugby-Team nicht besonders erfolgreich. Er selbst war ein taktisch geschickter, sehr athletischer Spieler, aber seine Mannschaft war nur mittelmäßig. Nicht selten wurde sie von den Teams der privaten Oberschulen geschlagen, die durch ihre Stipendien die besten Spieler des Landes auf sich vereinigen konnten. Doch am Ende eines Spiels machte Ao sich nicht viel daraus, ob sie gewonnen oder verloren hatten. »Das Wichtigste ist der Wille zum Sieg«, pflegte er zu sagen. »Im richtigen Leben kann man auch nicht immer gewinnen. Manchmal gewinnt man, und manchmal verliert man eben.«
»Und manchmal fällt das Spiel wegen Regen aus«, sagte Kuro, die einen Hang zur Ironie hatte.
Ao schüttelte mitleidig den Kopf. »Du verwechselst Rugby mit Tennis oder Baseball. Rugby fällt nie wegen Regen aus.«
»Ihr spielt auch, wenn es regnet?«, sagte Shiro erstaunt. Sie interessierte sich gar nicht für Sport und hatte keine Ahnung.
»Ja, natürlich«, schaltete sich Aka ein. »Rugby-Spiele werden nie unterbrochen, auch wenn es noch so schüttet. Deshalb ertrinken auch jedes Jahr so viele Spieler bei den Turnieren.«
»Wie schrecklich!«, rief Shiro.
»Dummerchen, merkst du nicht, dass er dich auf den Arm nimmt?«, sagte Kuro entnervt.
»Wir schweifen ab«, sagte Ao. »Ich will nur sagen, dass verlieren zu können auch eine Fähigkeit ist.«
»Und du bemühst dich, sie jeden Tag zu üben«, sagte Kuro.
Shiro hatte die schönen Züge klassischer japanischer Schönheiten und war groß und schlank. Sie hatte eine Figur wie ein Model und langes tiefschwarz glänzendes Haar. Viele drehten sich im Vorübergehen unwillkürlich nach ihr um. Allerdings schien ihre Schönheit sie selbst etwas zu überfordern. Shiro war ein ernstes, schüchternes Mädchen und konnte mit der Aufmerksamkeit anderer nicht gut umgehen. Sie spielte sehr gut Klavier, hatte aber Hemmungen, es vor Fremden zu tun. Richtig glücklich wirkte sie nur, wenn sie den Kindern aus
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