Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
den vergangenen Tagen unheimlich viel gearbeitet habe.
»Eigentlich wollte ich noch nach Hause, mich duschen und umziehen, aber ich habe es nicht geschafft«, sagte er.
Sara nahm ein flaches, längliches Päckchen aus einer Einkaufstüte und überreichte es ihm. Es war hübsch eingewickelt. »Hier, ein Geschenk für dich.«
Tsukuru machte es auf. Darin befand sich eine elegante blaue Seidenkrawatte von Yves Saint Laurent.
»Ich habe sie in einem Duty-free-Shop in Singapur entdeckt und fand, sie würde dir gut stehen.«
»Danke. Eine wunderschöne Krawatte.«
»Es gibt Männer, die mögen es nicht, wenn man ihnen Krawatten schenkt.«
»Ich gehöre nicht zu ihnen«, sagte Tsukuru. »Schon weil es ziemlich ausgeschlossen ist, dass ich eines Tages auf den Gedanken käme, mir eine Krawatte kaufen zu gehen. Außerdem hast du einen ausgezeichneten Geschmack.«
»Freut mich, dass sie dir gefällt«, sagte Sara.
Tsukuru nahm seine gestreifte Krawatte ab und band sich die neue von Sara um. Er trug an diesem Tag einen dunkelblauen Sommeranzug und ein einfaches weißes Oberhemd, sodass die blaue Krawatte durchaus kein Stilbruch war. Sara streckte die Hand aus und richtete mit geübtem Griff den Knoten. Ein Hauch ihres zarten Parfüms wehte ihm angenehm entgegen.
»Sie steht dir sehr gut«, sagte sie und lächelte.
Seine alte Krawatte, die noch auf dem Tisch lag, kam ihm mit einem Mal erstaunlich schäbig vor. Fast erschien sie ihm wie eine schlechte Gewohnheit, die er beibehalten hatte, ohne es zu merken. Er sollte mehr auf sein Äußeres achten, dachte er. Aber der Alltag im Planungsbüro der Eisenbahngesellschaft bot keinen besonderen Anlass dazu. Seine Kollegen waren fast ausschließlich Männer. Sie arbeiteten auch häufig vor Ort, und sobald er das Büro verließ, nahm er die Krawatte ab und krempelte die Ärmel hoch. Niemand kümmerte sich darum, was für einen Anzug oder was für eine Krawatte er trug. Und wenn er es sich recht überlegte, war es auch schon ziemlich lange her, dass er regelmäßig mit einer Frau ausgegangen war. Es war das erste Mal, dass Sara ihm etwas geschenkt hatte. Was ihn sehr freute. Er durfte nicht versäumen, sie nach ihrem Geburtstag zu fragen und ihr etwas zu schenken. Er bedankte sich noch einmal, faltete die alte Krawatte zusammen und schob sie in seine Jackett-Tasche.
Auf Saras Vorschlag waren sie in ein französisches Restaurant im Untergeschoss eines Gebäudes in Minami-Aoyama gegangen. Es war keines dieser snobistischen Lokale. Die Preise waren gemäßigt und die Atmosphäre ungezwungen, eher wie in einem Bistro. Aber die Tische standen weit genug auseinander, dass man sich ungestört unterhalten konnte. Auch die Bedienung war freundlich. Sie bestellten eine Karaffe Rotwein und lasen die Speisekarte.
Sara trug ein mit kleinen Blumen gemustertes Kleid und eine dünne weiße Strickjacke über den Schultern. Beides war sehr fein und von guter Qualität. Natürlich wusste Tsukuru nicht, wie viel Sara verdiente, aber sie schien es gewohnt zu sein, Geld für Kleidung auszugeben.
Beim Essen erzählte sie von ihrer Arbeit in Singapur. Sie musste Hotelpreise aushandeln, Restaurants auswählen, Transportmittel organisieren, alle möglichen Aktivitäten vorbereiten, die medizinische Versorgung sicherstellen … Die Ausarbeitung einer neuen Reise war aufwendig. Sie pflegte sich eine ausführliche Checkliste anzulegen und arbeitete sie vor Ort ab, indem sie alle Lokalitäten abklapperte und jedes Detail mit eigenen Augen prüfte. Im Grunde hatte ihre Vorgehensweise eine gewisse Ähnlichkeit mit der Planung eines neuen Bahnhofs. Beim Zuhören wurde Tsukuru klar, wie kompetent und tüchtig Sara in ihrem Beruf war. Sie war eine Expertin.
»Demnächst werde ich wohl wieder hinfliegen müssen«, sagte Sara. »Warst du schon mal in Singapur?«
»Nein, um ehrlich zu sein, war ich noch nie außerhalb Japans. Ich mache keine Dienstreisen ins Ausland, und allein dorthin zu fahren, wäre mir zu mühsam.«
»Singapur ist ein angenehmes Reiseziel. Die Landesküche ist sehr gut, und es gibt wunderschöne Ferien-Resorts. Ich könnte dir etwas zeigen.«
Tsukuru malte sich aus, wie herrlich es wäre, mit Sara ins Ausland zu reisen.
Wie immer trank er nur ein Glas Wein und sie den Rest der Karaffe. Offenbar vertrug sie eine ganze Menge, denn ihr Gesicht rötete sich kein bisschen. Er wählte ein Gericht mit geschmortem Rindfleisch, und sie entschied sich für gebratene Ente. Als sie den Hauptgang
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