Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
beendet hatten, nahm sie nach einigem Zögern noch ein Dessert. Tsukuru bestellte Kaffee.
»Seit unserer letzten Verabredung ist mir einiges durch den Kopf gegangen«, sagte Sara, während sie zum Abschluss eine Tasse schwarzen Tee trank. »Ich habe viel über deine vier Freunde aus der Oberschule nachgedacht. Über eure Verbundenheit und die Chemie, die zwischen euch herrschte.«
Tsukuru nickte und wartete darauf, dass sie fortfuhr.
»Die Geschichte eurer Gruppe interessiert mich sehr. Ich selbst habe so etwas noch nie erlebt.«
»Ist wahrscheinlich auch besser so«, sagte Tsukuru.
»Weil sie dich am Ende so verletzt haben?«
Er nickte.
»Das verstehe ich«, sagte Sara, und ihre Augen wurden schmal. »Aber bei all dem Schlimmen und der Enttäuschung, die du erleben musstest, war es doch gut für dich, ihnen begegnet zu sein. So innig mit anderen verbunden zu sein ist nichts Alltägliches. Und dass fünf Menschen eine solche Beziehung zueinander haben, grenzt fast an ein Wunder.«
»Ja, schon, das finde ich ja auch«, sagte Tsukuru. »Aber der Schock, als ich begriff, dass ich all dies ganz und gar und für immer verloren hatte, war enorm. Dieses Gefühl von Verlust, von Verlassenheit … ist mit Worten nicht einmal annähernd wiederzugeben.«
»Aber das ist über sechzehn Jahre her. Mittlerweile bist du ein erwachsener Mann von Mitte dreißig. Auch wenn du damals schrecklich gelitten hast, wird es doch allmählich Zeit, darüber hinwegzukommen.«
»Darüber hinwegzukommen«, wiederholte Tsukuru. »Wie meinst du das konkret?«
Sara legte beide Hände auf den Tisch und spreizte leicht die Finger. Am kleinen Finger ihrer linken Hand trug sie einen Ring mit einem zierlichen mandelförmigen Stein. Sie betrachtete ihn einen Moment lang und sah dann auf.
»Ich finde, du solltest allmählich klären, warum deine vier Freunde sich so abrupt von dir abgewandt haben.«
Tsukuru wollte seinen Kaffee austrinken, merkte aber, dass die Tasse leer war, und stellte sie zurück auf den Unterteller. Es klapperte unerwartet laut. Davon aufgeschreckt kam der Kellner an ihren Tisch und schenkte Wasser nach.
Tsukuru wartete, bis er gegangen war.
»Wie gesagt möchte ich das Ganze lieber vergessen«, sagte er dann. »Die Wunde von damals hat sich geschlossen, und ich habe den Schmerz überwunden. Außerdem ist so viel Zeit vergangen. Ich will die mühsam verheilte Wunde nicht wieder aufreißen.«
»Aber vielleicht ist sie nur oberflächlich verheilt«, sagte Sara leise und sah Tsukuru in die Augen. »Vielleicht blutet sie im Inneren weiter still vor sich hin. Ist dir dieser Gedanke noch nie gekommen?«
Tsukuru überlegte. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
»Hör zu, gib mir doch mal die Namen der vier, den Namen eurer Schule, das Jahr, in dem ihr Abitur gemacht habt, die Universitäten, auf denen die anderen waren, und ihre damaligen Adressen.«
»Und was willst du damit?«
»Herausfinden, wo sie jetzt sind und was sie machen.«
Tsukuru bekam plötzlich keine Luft. Er griff nach seinem Wasserglas und trank. »Wozu?«
»Damit du dich mit ihnen treffen und dir persönlich von ihnen erklären lassen kannst, was sich vor sechzehn Jahren zugetragen hat.«
»Aber wenn ich sage, dass ich das nicht will?«
Sie drehte ihre Hände, sodass die Handflächen nach oben zeigten. Dabei blickte sie Tsukuru über den Tisch hinweg weiter in die Augen.
»Darf ich ganz offen zu dir sein?«, fragte Sara.
»Natürlich.«
»Es fällt mir nicht leicht.«
»Du kannst mir alles sagen. Ich möchte wissen, was du denkst.«
»Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, wollte ich nicht mit in deine Wohnung gehen. Erinnerst du dich? Weißt du, wieso?«
Tsukuru sah sie fragend an.
»Ich mag dich. Du gefällst mir sehr, auch als Mann«, sagte Sara und machte eine kleine Pause. »Aber ich fürchte, du trägst ein psychisches Problem mit dir herum.«
Tsukuru schaute sie schweigend an.
»Jetzt kommt der Teil, der mir am schwersten fällt. Es ist nicht leicht zu beschreiben. Ich drücke es wahrscheinlich zu vereinfacht aus. Aber ich kann es nicht präziser erklären. Im Grunde ist es eine Gefühlssache.«
»Ich vertraue auf dein Gefühl«, sagte Tsukuru.
Sara biss sich leicht auf die Lippen, und ihre Augen schienen eine Distanz abzuschätzen. »Als wir miteinander geschlafen haben, hatte ich das Gefühl, du warst irgendwo anders. Nicht an dem Ort, an dem wir uns zusammen befanden. Du warst sehr zärtlich, es war wunderschön, und
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