Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
schöne Zeiten miteinander. Ich habe viele schöne Erinnerungen. Aber keine von ihnen begehrte ich so leidenschaftlich, dass ich mich selbst vergessen hätte.«
Sara schwieg einen Moment, bevor sie sprach. »Das heißt, du warst über zehn Jahre hinweg immer wieder lange und ernsthaft mit Frauen zusammen, zu denen du dich nicht richtig hingezogen fühltest?«
»Ich glaube, ja.«
»Das finde ich rational nicht nachvollziehbar.«
»Du sagst es.«
»Lag es daran, dass du nicht heiraten oder deine Freiheit nicht aufgeben wolltest?«
Tsukuru schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass ich mich vor der Ehe fürchte oder besonders bindungsscheu bin. Ich bin sogar eher ein Mensch, der sich nach Stabilität sehnt.«
»Trotzdem hast du dich ständig emotional zurückgehalten, oder?«
»Wahrscheinlich.«
»Deshalb hat es dir genügt, mit Frauen zusammen zu sein, ohne ihnen dein Herz zu öffnen.«
»Vielleicht hatte ich Angst, jemanden ernsthaft zu lieben und zu brauchen. Angst davor, dass dieser Jemand eines Tages plötzlich und ohne Vorwarnung verschwinden und mich alleinlassen würde.«
»Und deshalb hast du, bewusst oder unbewusst, immer eine bestimmte Distanz zwischen dich und deine Partnerin gesetzt. Oder dir Frauen ausgesucht, zu denen du eine ausreichende Distanz halten konntest. Um nicht verletzt zu werden. Meinst du, so war es?«
Tsukuru schwieg, aber es war ein zustimmendes Schweigen. Dennoch wusste er, dass dies nicht der Kern des Problems war.
»Wahrscheinlich würde sich zwischen uns beiden das Gleiche abspielen.«
»Nein, bei dir ist es etwas anderes. Etwas Richtiges. Bei dir habe ich das Bedürfnis, mich zu öffnen. Aus ganzem Herzen. Deshalb habe ich dir die Geschichte ja auch erzählt.«
»Möchtest du dich weiter mit mir treffen?«, fragte Sara.
»Natürlich will ich das.«
»Ich will das auch, wenn es geht«, sagte Sara. »Ich halte dich für einen ehrlichen Menschen, der mich nicht belügen würde.«
»Danke«, sagte Tsukuru.
»Sag mir bitte die Namen der vier. Was später geschehen soll, kannst du selbst entscheiden. Den Zeitpunkt, an dem du die Sache klären willst. Du brauchst sie auch überhaupt nicht wiederzusehen, wenn du nicht willst. Denn letztendlich ist es ja dein Problem. Aber davon abgesehen interessiert mich die Sache persönlich. Ich würde gern mehr über die vier erfahren. Die Menschen, die dir noch immer in den Knochen stecken.«
Als Tsukuru nach Hause kam, holte er ein altes Notizbuch aus der Schreibtischschublade und tippte die vier Namen, Adressen und Telefonnummern sorgfältig in seinen Laptop.
Kei Akamatsu
Yoshio Oumi
Yuzuki Shirane
Eri Kurono
So vieles ging ihm durch den Kopf, als er die Namen auf dem Bildschirm betrachtete, und ihm war, als schöbe sich die Zeit, die eigentlich schon vergangen war, über die Zeit, die ihn umgab. Lautlos drang die Vergangenheit in die Gegenwart ein. Wie Rauch, der sich durch einen winzigen Spalt in der Tür ins Zimmer stiehlt. Geruchloser, farbloser Rauch. Einen kurzen Moment lang war Tsukuru wieder in der Gegenwart und schickte die Mail mit einem Klick an Saras Adresse. Er prüfte, ob sie gesendet worden war, und schaltete den Computer aus. Und wartete, dass die Zeit wieder in die Phase der Gegenwart eintrat.
»Aber davon abgesehen interessiert mich die Sache persönlich. Ich würde gern mehr über die vier erfahren. Die Menschen, die dir noch immer in den Knochen stecken.«
Wahrscheinlich hat Sara recht, dachte Tsukuru, als er im Bett lag. Die vier steckten ihm noch immer in den Knochen. Vielleicht sogar tiefer, als sie annahm.
Herr Rot
Herr Blau
Fräulein Weiß
Fräulein Schwarz
7
In jener Nacht, in der Haida ihm die geheimnisvolle Geschichte des Jazzpianisten Midorigawa erzählt hatte, dem sein Vater in den Bergen auf Kyushu begegnet war, trugen sich merkwürdige Dinge zu.
Tsukuru Tazaki erwachte plötzlich in der Dunkelheit. Geweckt hatte ihn ein leises Geräusch. Ein Geräusch, wie wenn ein Kieselstein gegen eine Fensterscheibe schlägt. Vielleicht hatte er sich verhört. Er wusste es nicht genau. Er wollte auf die elektrische Uhr am Kopfende des Bettes schauen, konnte aber den Hals nicht drehen. Nicht nur sein Hals, sein ganzer Körper war unbeweglich. Er war nicht gelähmt, sondern nur außerstande, seinem Körper Befehle zu erteilen. Bewusstsein und Muskeln ließen sich nicht koordinieren.
Es war ganz dunkel. Tsukuru konnte nicht im Hellen schlafen und zog die dicken Vorhänge nachts
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