Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
vermittelte nun einen nach innen gewandten Eindruck. Ihre Augen hatten inzwischen gewiss einiges gesehen, das sich in ihr Herz gegraben hatte. Die Lippen waren fest aufeinandergepresst, Gesicht und Stirn hatten eine gesunde Sonnenbräune. Ihr dichtes schwarzes Haar fiel ihr glatt bis auf die Schultern, und eine Spange hielt die Haare aus ihrer Stirn. Ihre Brüste wirkten noch voller als früher. Sie trug weiße Tennisschuhe, ein einfarbiges blaues Baumwollkleid und einen cremefarbenen Schal.
Kuro wandte sich erklärungssuchend an ihren Mann. Aber Edvard legte nur den Kopf ein wenig schräg, ohne etwas zu sagen. Sie sah wieder Tsukuru an und biss sich leicht auf die Lippen.
Tsukuru hatte eine Frau vor sich, die ein ganz anderes – viel gesünderes – Leben geführt hatte als er. Er konnte nicht anders, als das Gewicht dieses Umstands schmerzhaft zu empfinden. Vor Kuro stehend, hatte er das Gefühl, endlich begreifen zu können, wie schwer diese sechzehn Jahre wogen. Es gab Dinge auf der Welt, die sich nur durch Frauen vermittelten.
Kuro sah Tsukuru mit gerunzelter Stirn an. Ihre Lippen kräuselten sich und verzogen sich dann in eine Richtung. Ein Grübchen erschien auf ihrer rechten Wange oder eher eine feine Falte, die komische Verzweiflung ausdrückte. Tsukuru konnte sich noch gut daran erinnern. Dieses Mienenspiel hatte immer eine unmittelbar bevorstehende sarkastische Bemerkung angekündigt. Aber diesmal war es etwas anderes, das Kuro auf der Zunge lag. Sie versuchte eine ferne Ahnung näher heranzuziehen. »Tsukuru?«, kam es ihr endlich über die Lippen.
Er nickte.
Sie legte den Arm schützend um ihre kleine Tochter. Die Kleine schmiegte sich an das Bein ihrer Mutter und blickte zu Tsukuru auf. Das ältere Mädchen blieb in kurzer Entfernung stehen. Edvard trat an sie heran und strich ihr liebevoll über die dunkelblonden Haare. Ihre jüngere Schwester hatte schwarzes Haar.
Die fünf verharrten stumm in dieser Haltung. Edvard, das Haar des blonden Kindes streichelnd, Kuro, den Arm um ihre schwarzhaarige Tochter gelegt, und Tsukuru, allein auf der anderen Seite des Tisches stehend. Es war, als posierten sie für ein Gemälde, in dessen Mittelpunkt Kuro stand. Sie bildete das Zentrum der Komposition, die anderen rahmten sie ein.
Sie bewegte sich als Erste. Sie ließ die Kleine los, nahm die Sonnenbrille von der Stirn und legte sie auf den Tisch. Sie griff nach dem Becher, aus dem ihr Mann getrunken hatte, nahm einen Schluck von dem erkalteten Kaffee und verzog das Gesicht. Anscheinend wusste sie gar nicht, was sie getrunken hatte.
»Möchtest du Kaffee?«, fragte ihr Mann sie auf Japanisch.
»Ja, bitte«, erwiderte Kuro, ohne ihn anzuschauen. Und setzte sich an den Tisch.
Edvard ging zur Kaffeemaschine hinüber, schaltete sie wieder ein und erhitzte den Kaffee. Die Schwestern setzten sich nebeneinander auf eine Holzbank am Fenster und sahen Tsukuru mit großen Augen an.
»Bist du es wirklich, Tsukuru?«, fragte Kuro leise.
»Ja, ich bin es wirklich«, sagte er.
Sie musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen.
»Du machst ein Gesicht, als wäre ich ein Geist«, sagte Tsukuru. Das sollte ein Witz sein, aber die Bemerkung kam ihm selbst nicht besonders witzig vor.
»Du wirkst so verändert«, sagte Kuro heiser.
»Sagen alle, die mich lange nicht gesehen haben.«
»Du siehst so dünn und so … erwachsen aus.«
»Das kommt wahrscheinlich daher, dass ich erwachsen bin «, sagte Tsukuru.
»Wahrscheinlich«, antwortete Kuro.
»Du hast dich überhaupt nicht verändert.«
Sie schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
Ihr Mann brachte ihr den Kaffee in einem kleinen Becher, den sie sicher selbst gebrannt hatte, und stellte ihn auf den Tisch. Sie gab einen Löffel Zucker hinein, rührte um und nahm behutsam einen Schluck von der dampfenden Flüssigkeit.
»Ich fahre mal mit den Mädchen in die Stadt«, sagte Edvard in gut gelauntem Ton. »Wir brauchen allmählich ein paar Lebensmittel, und tanken muss ich auch.«
Kuro nickte ihm zu. »Ja, mach das doch bitte«, sagte sie.
»Möchtest du etwas Bestimmtes?«
Sie schüttelte stumm den Kopf. Edvard steckte sein Portemonnaie ein, nahm den Autoschlüssel, der an der Wand hing, und sagte etwas auf Finnisch zu seinen Töchtern, die sogleich aufsprangen. Es war das Wort »Eiscreme« gefallen. Sicher hatte er versprochen, dass sie beim Einkaufen ein Eis bekämen.
Tsukuru und Kuro standen auf der Veranda und beobachteten, wie die drei in den Renault
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