Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
beschäftigt, aber ich wollte unbedingt allein arbeiten, und vor zwei Jahren habe ich mich selbstständig gemacht. Außerdem unterrichte ich zweimal in der Woche an der Universität Helsinki.«
»Verbringen Sie den Sommer immer hier?«
»Ja, von Anfang Juli bis Mitte August. Ganz in der Nähe habe ich mit einem Freund zusammen eine kleine Werkstatt. Von frühmorgens an arbeite ich dort, aber zum Mittagessen komme ich immer nach Hause. Den Nachmittag verbringe ich meistens mit meiner Familie. Wir gehen spazieren oder lesen. Manchmal gehen wir zusammen angeln.«
»Es ist wunderschön hier.«
Edvard lächelte erfreut. »Danke. Es ist sehr ruhig, und man kann gut arbeiten. Wir führen ein einfaches Leben. Auch den Kindern gefällt es hier. So kommen sie mit der Natur in Berührung.«
An einer der weiß verputzten Wände stand ein Holzregal mit bereits gebrannter Keramik, das bis fast zur Decke reichte. Ansonsten war der Raum schmucklos. Eine einfache runde Uhr hing an einer anderen Wand, auf einer soliden alten Holzkommode stand eine kleine Stereoanlage, daneben lag ein Stapel CD s.
»Ungefähr ein Drittel der Objekte in dem Regal stammen von Eri«, sagte Edvard. In seiner Stimme schwang hörbar Stolz mit. »Sie ist ein Naturtalent. Das kommt in ihren Werken zum Ausdruck. Sie sind durchdrungen davon. Man kann sie in einigen Geschäften in Helsinki kaufen, dadurch sind sie bekannter als meine Sachen.«
Tsukuru war ein wenig erstaunt. Dass Kuro sich für Keramik interessierte, hörte er zum ersten Mal.
»Ich habe nicht gewusst, dass sie töpfert«, sagte er.
»Sie war auch schon über zwanzig, als sie damit angefangen hat. Nach ihrem Sprachstudium ist sie noch mal auf die Kunsthochschule in Aichi gegangen. Dort haben wir uns kennengelernt.«
»Ach so. Ich kannte sie ja nur als Mädchen.«
»Sie waren auf der Oberschule befreundet?«
»Ja.«
»Tsukuru Tazaki«, sagte Edvard nachdenklich und kniff die Augen zusammen. Er versuchte, sich zu erinnern. »Ja, Eri hat mir von Ihnen erzählt. Sie waren einer aus der Gruppe der fünf Freunde in Nagoya. Stimmt’s?«
»Ja.«
»Die anderen drei sind auf unserer Hochzeit in Nagoya gewesen. Aka, Shiro und Ao. So heißen sie doch? Die Farbenfrohen.«
»Ja, stimmt«, sagte Tsukuru. »Bei mir ging es leider nicht.«
»Aber jetzt sind Sie hier, um Kuro zu besuchen«, sagte Edvard, und ein herzliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Sein Bart erinnerte an die Flammen eines freundlich flackernden Feuers. »Sind Sie als Tourist in Finnland unterwegs, Herr Tazaki?«
»Ja«, sagte Tsukuru. Ihm die Wahrheit zu erklären, hätte zu lange gedauert. »Meine Reise hat mich nach Helsinki geführt, und ich wollte Eri nach so langer Zeit gern einmal wiedersehen. Also bin ich hergekommen. Entschuldigen Sie, dass ich nicht vorher angerufen habe. Ich wollte Ihnen keine Umstände machen.«
»Aber nein, das sind doch keine Umstände. Sie sind herzlich willkommen. Schön, dass Sie es von so weit her geschafft haben. Zum Glück bin ich heute zufällig zu Hause geblieben. Eri wird sich sehr freuen.«
Schön wäre es ja, dachte Tsukuru.
»Darf ich mir Ihre Werke anschauen?« Tsukuru deutete auf die Keramik im Regal.
»Selbstverständlich. Sie können auch ruhig alles in die Hand nehmen. Es steht alles durcheinander, manche Stücke sind von Eri, manche von mir. Aber sie sind so unterschiedlich, dass Sie leicht erkennen werden, was von wem ist.«
Tsukuru schaute sich jedes einzelne Stück an. Es waren hauptsächlich Teller, Schalen und Becher, die man wirklich zum Essen benutzen konnte. Daneben gab es noch einige Vasen und Krüge.
Tatsächlich erkannte er den Unterschied zwischen Eris Werken und denen ihres Mannes auf den ersten Blick. Seine Stücke waren pastellfarben, glatt und unglasiert. Die Farben waren mal dunkler, mal heller und hatten wunderschöne Maserungen, die an das Wehen von Wind oder fließendes Wasser erinnerten. Statt Muster hatten die Objekte diese fließenden wechselnden Schattierungen. Auch als Laie konnte Tsukuru sich vorstellen, dass diese Farbgebung technisch nicht ganz einfach hervorzurufen war. Was Edvards Werke besonders auszeichnete, war ihre glatte und elegante Anmutung, die ohne überflüssige Schmuckelemente auskam und die man nicht nur sah, sondern auch fühlte. Sie war im Prinzip nordisch, aber in ihrer reduzierten Einfachheit eindeutig von japanischer Keramik beeinflusst. Die Stücke lagen erstaunlich leicht und gut in der Hand. Sie waren bis ins Detail
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