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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sorgfältig ausgearbeitet. Nur ein erstklassiger Künstler konnte solche Arbeiten hervorbringen. Industriell gefertigte Massenware reichte nie an diese Meisterschaft heran.
    Eris Werke wirkten dagegen viel einfacher. Handwerklich waren sie vom Niveau der feinen und erlesenen Stücke ihres Mannes weit entfernt. Insgesamt wirkten sie eher derb, und wenngleich die wulstigen, unregelmäßigen Ränder auch einen zauberhaften Schwung hatten, konnte man nicht von raffinierter Schönheit sprechen. Dennoch besaßen sie eine warme und persönliche Note, die im Betrachter eine ganz eigene Gelöstheit hervorrief. Die Asymmetrie und die raue Oberfläche brachten eine innere Gelassenheit zum Tragen, wie man sie empfindet, wenn man auf einer Veranda sitzt und das Ziehen der Wolken beobachtet oder ein Gewebe aus Naturfasern berührt.
    Ein charakteristisches Merkmal ihrer Werke war, dass sie im Gegensatz zu denen ihres Mannes Muster hatten. Die feinen Zeichnungen, die sich auf allen Stücken fanden, waren wie vom Wind verwehte Blätter bald vereinzelt, bald konzentriert. Durch diese Anordnung entstand ein verhaltener und zugleich prächtiger Gesamteindruck, der in seiner Erlesenheit an die Muster alter Kimonos erinnerte. Als Tsukuru die Muster näher in Augenschein nahm, um zu erkennen, was sie darstellten, gelang es ihm nicht, so eigenartig waren sie. Doch als er sie aus der Distanz betrachtete, schienen es auf dem Waldboden verstreute Blätter zu sein. Blätter, über die namenlose Tiere schritten, lautlos und unbemerkt.
    Farben dienten bei ihr, anders als bei ihrem Mann, nur als Hintergrund. Ihre Aufgabe war es, die Muster zu beleben oder hervorzuheben. Sie waren blass und dezent, bildeten aber einen wirkungsvollen Hintergrund.
    Tsukuru nahm je ein Gefäß von Edvard und eines von Kuro in die Hand, um sie zu vergleichen. Der harmonische Gegensatz zwischen ihren Werken ließ ihn zu der Ansicht gelangen, dass das Eheleben der beiden ebenfalls recht ausgewogen war. Beide hatten einen eigenen Stil, waren aber bereit, die Persönlichkeit des anderen zu akzeptieren.
    »Es ist vielleicht unpassend, wenn ich die Arbeiten meiner Frau lobe«, sagte Edvard, während er Tsukuru zusah. »Das tut man in Japan nicht, oder? Das gilt als Eigenlob?«
    Tsukuru lächelte wortlos.
    »Eris Arbeiten gefallen mir einfach ungeheuer gut, und ich sage das nicht, weil sie von meiner Frau sind. Es gibt eine Menge Töpfer auf der Welt, die raffiniertere und schönere Keramiken herstellen. Aber Eris Werke sind frei von Enge . Man spürt die Weite ihres Herzens und ihres Horizonts darin. Ich wünschte, ich könnte es besser ausdrücken.«
    »Ich verstehe sehr gut, was Sie meinen«, sagte Tsukuru.
    »So etwas ist ein Geschenk des Himmels.« Edvard zeigte zur Decke. »Eine besondere Gabe. Und Eri wird in Zukunft immer besser werden, daran zweifle ich nicht. Sie hat noch jede Menge Spielraum.«
    Draußen bellte der Hund. Es klang ausgesprochen freudig.
    »Eri und die Mädchen sind wohl wieder da.« Edvard blickte zur Tür, stand auf und ging ihnen entgegen.
    Tsukuru stellte das Gefäß, das er in der Hand hielt, behutsam ins Regal zurück. Er blieb dort stehen und wartete darauf, dass Eri in der Tür erschien.

16
    Als Kuro ihn sah, schien sie nicht zu begreifen, was los war. Für einen Augenblick verlor ihr Gesicht jeden Ausdruck und wurde leer. Sie schob sich die Sonnenbrille auf die Stirn und starrte Tsukuru wortlos an. Sie kam von ihrem nachmittäglichen Spaziergang mit ihren Töchtern zurück, und neben ihrem Mann stand ein anscheinend fremder Japaner. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn zu kennen.
    Sie hielt die Hand ihrer kleineren Tochter, die drei Jahre alt sein mochte. Das größere der Mädchen war vielleicht zwei oder drei Jahre älter. Die beiden trugen die gleichen geblümten Kleidchen und die gleichen Plastiksandalen. Sie hatten die Tür offen gelassen, und von draußen war das lebhafte Gebell des Hundes zu hören. Edvard steckte den Kopf aus der Tür und ermahnte ihn kurz. Der Hund verstummte sofort und legte sich auf den Boden der Veranda. Wie ihre Mutter starrten auch die Mädchen Tsukuru schweigend an.
    Kuro hatte sich, seit er sie vor sechzehn Jahren das letzte Mal gesehen hatte, nicht sehr verändert. Allerdings hatte sie ihre mädchenhafte Rundlichkeit verloren; an ihre Stelle waren klare und ausdrucksvolle Konturen getreten. Ihr starker Charakter war schon früher ihre hervorstechende Eigenschaft gewesen, und ihr direkter, klarer Blick

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