Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
nicht angebunden, aber sein Gebell wirkte nicht bedrohlich, und Tsukuru ging an ihm vorbei. Kurz bevor er an der Tür war, ging sie auf, und ein Mann steckte den Kopf heraus, wohl weil er den Hund gehört hatte. Er hatte einen dichten, rotblonden Vollbart, war ungefähr Mitte vierzig und nicht sehr groß. Seine Schultern waren breit und kantig, wie ein überdimensionaler Kleiderbügel, und sein Hals war lang. Seine rotblonden Haare standen zu Berge und erinnerten an einen verfilzten Besen. Darunter ragten seine Ohren hervor. Er trug ein kariertes Hemd mit kurzen Ärmeln und Jeans. Den Türknauf in der linken Hand, schaute er Tsukuru entgegen. Dann rief er den Namen des Hundes und befahl ihm, still zu sein.
»Hallo«, sagte Tsukuru.
»Guten Tag«, sagte der Mann auf Japanisch.
»Guten Tag«, grüßte Tsukuru auf Japanisch zurück. »Bin ich hier richtig bei Familie Haatainen?«
»Ja, das sind wir«, sagte der Mann in fließendem Japanisch. »Edvard Haatainen, sehr erfreut.«
Tsukuru streckte ihm von der Treppe zur Veranda die Hand entgegen. Der Mann ergriff sie, und sie schüttelten einander die Hände.
»Mein Name ist Tsukuru Tazaki«, sagte Tsukuru.
»›Tsukuru‹ wie das Verb für ›etwas machen‹?«
»Ja, genau, dieses ›Tsukuru‹ ist es.«
Der Mann lächelte. »Ich stelle auch Dinge her.«
»Freut mich«, sagte Tsukuru. »Genau wie ich.«
Der Hund rieb seinen Kopf am Bein des Mannes. Dann tat er das Gleiche bei Tsukuru, wahrscheinlich um ihn zu begrüßen. Er streichelte den Kopf des Hundes.
»Und was sind das für Dinge, die Sie machen, Herr Tazaki?«
»Ich konstruiere Bahnhöfe«, sagte Tsukuru.
»Ach, das ist interessant. Wussten Sie, dass die erste Eisenbahnlinie in Finnland zwischen Helsinki und Hämeenlinna verkehrte? Deshalb sind wir hier sehr stolz auf unseren Bahnhof. Und darauf, dass Jean Sibelius hier geboren wurde. Sie sind am richtigen Ort.«
»Ach, wirklich? Das habe ich nicht gewusst. Und was für Dinge machen Sie?«
»Ich bin Töpfer«, sagte Edvard. »Nun, verglichen mit Bahnhöfen sind Keramiken ja eher kleine Dinge. Bitte kommen Sie doch herein, Herr Tazaki.«
»Störe ich auch nicht?«
»Nein, überhaupt nicht«, sagte Edvard und breitete beide Arme aus. »Bei uns ist jeder willkommen. Und besonders Menschen, die etwas schaffen. Kommen Sie herein, mein Freund.«
Im Haus war niemand. Auf dem Tisch stand eine Kaffeetasse. Daneben lag umgedreht ein aufgeschlagenes finnisches Taschenbuch. Anscheinend hatte Edvard gelesen und dabei einen Kaffee getrunken. Er bot Tsukuru einen Stuhl an und setzte sich ihm gegenüber. Dann legte er ein Lesezeichen in das Buch, klappte es zu und schob es beiseite.
»Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee?«
»Gern«, sagte Tsukuru.
Edvard ging zur Kaffeemaschine, goss einen Becher dampfend heißen Kaffee ein und stellte ihn vor Tsukuru hin.
»Nehmen Sie Milch und Zucker?«
»Nein, danke, ich trinke ihn schwarz«, sagte Tsukuru.
Der cremefarbene Becher war handgetöpfert. Der Henkel war unregelmäßig geformt und gab ihm ein originelles Aussehen. Er ließ sich gut halten und fühlte sich vertraut an. Wie ein liebevoller Scherz, den nur die Familie versteht.
»Den Becher hat unsere ältere Tochter gemacht«, sagte Edvard und lächelte. »Gebrannt habe ich ihn natürlich.«
Seine Augen waren von einem feinen Hellgrau, das sehr gut zu seinem rotblonden Bart und seinem Haar passte. Er war Tsukuru auf Anhieb sympathisch. Ein Typ, zu dem Wälder und Seen besser passten als ein Leben in der Stadt.
»Sie sind sicher gekommen, um Eri zu sehen, Herr Tazaki, nicht wahr?«, fragte Edvard.
»Ja, das stimmt«, sagte Tsukuru. »Ist sie hier?«
Edvard nickte. »Aber sie und die Mädchen sind auf einem Spaziergang. Das machen sie oft nach dem Essen. Wahrscheinlich sind sie am See. Dort gibt es sehr schöne Wege. Der Hund kommt immer kurz vor ihnen zurück. Also werden sie sicher gleich hier sein.«
»Sie sprechen sehr gut Japanisch«, sagte Tsukuru.
»Ich habe fünf Jahre in Japan gelebt. In Gifu und Nagoya. Um eine Ausbildung als Töpfer zu machen. Da blieb mir nichts anderes übrig, als Japanisch zu lernen.«
»Und dort haben Sie sicher auch Eri kennengelernt?«
Edvard lachte heiter. »Ja, ich habe mich ganz plötzlich verliebt. Wir haben vor acht Jahren in Nagoya geheiratet und sind dann nach Finnland gezogen. Inzwischen habe ich hier eine Töpferwerkstatt. Als wir nach Finnland kamen, war ich eine Zeit lang als Designer bei einer arabischen Firma
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