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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Tatzeitpunkt lag zwischen zehn Uhr abends und Mitternacht. Es hatte bis zum Morgengrauen geregnet, ein kalter Regen, obschon es bereits Mai war. Gefunden worden war Shiros Leiche am Abend drei Tage später. Drei Tage lang hatte sie so auf den Vinylfliesen in der Küche gelegen.
    Das Motiv des Mörders blieb im Dunkeln. Jemand war nachts in die Wohnung eingedrungen, hatte Shiro lautlos erwürgt und war wieder gegangen, ohne etwas zu stehlen. Die Tür war mit einem Riegel ausgestattet. Ob Shiro von innen geöffnet hatte oder der Mörder einen Nachschlüssel gehabt hatte, war ebenfalls unklar. Sie hatte allein gewohnt. Ihren Kolleginnen und Nachbarn zufolge pflegte sie mit niemandem näheren Umgang. Nur ihre Mutter und ihre Schwester seien hin und wieder aus Nagoya gekommen, sonst sei sie immer allein gewesen. Sie kleidete sich einfach und machte den Eindruck einer ruhigen, anständigen jungen Frau. Ihr Unterricht war engagiert, und sie hatte einen guten Ruf bei ihren Schülern, traf sich aber außerhalb ihrer Arbeit mit niemandem.
    Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, warum sie erwürgt worden war. Die polizeilichen Ermittlungen verliefen im Sande und endeten ohne Ergebnis. Das Motiv des Täters wurde nie geklärt. Die Berichterstattung ließ nach und hörte bald ganz auf. Eine traurige, trostlose Sache. Wie der kalte Regen, der in jener Nacht bis zum Morgengrauen fiel.
    »Ein böser Geist hatte von ihr Besitz ergriffen«, sagte Eri leise, als vertraue sie ihm ein Geheimnis an. »Er folgte ihr überallhin, blies ihr unentwegt seinen kalten Atem in den Nacken, trieb sie immer mehr in die Enge. Anders kann ich mir das nicht erklären. Erst die Sache mit dir, dann die Magersucht und am Ende das, was in Hamamatsu passiert ist. Ich wollte eigentlich nie mit jemandem darüber reden, weil ich das Gefühl hatte, dass es, einmal ausgesprochen, Wirklichkeit würde. Deshalb habe ich es die ganze Zeit für mich behalten. Ich wollte bis zu meinem Tod darüber schweigen. Aber jetzt habe ich es doch gesagt. Denn es könnte sein, dass wir uns nie wiedersehen. Und ich finde, du musst wissen, dass es ein böser Geist war. Oder etwas, das große Ähnlichkeit mit einem bösen Geist hatte und das Yuzu einfach nicht abschütteln konnte.«
    Eri stieß einen tiefen Seufzer aus und schaute wieder auf ihre Hände, die jetzt heftig zitterten. Tsukuru wandte den Blick davon ab und sah zwischen den sich bauschenden Gardinen aus dem Fenster ins Freie. Ein tiefes, von erstickender Traurigkeit erfülltes Schweigen hatte sich über den Raum gesenkt. Es war schwer und einsam und voll von unausgesprochenen Gedanken wie ein uralter Gletscher, der sich tief in die Erde gräbt und einen See hinterlässt.
    »Erinnerst du dich an die Années de pèlerinage von Liszt? Yuzu hat sie oft gespielt«, fragte Tsukuru nach einer Weile, um das Schweigen zu brechen.
    »Ja, natürlich, besonders an ›Le mal du pays‹«, sagte Eri. »Ich höre es auch jetzt noch manchmal. Wollen wir?«
    Tsukuru nickte.
    Eri stand auf, ging zu der kleinen Stereoanlage auf der Kommode, nahm eine CD aus dem Stapel und legte sie ein. »Le mal du pays« ertönte, das schlichte Thema sanft mit einer Hand gespielt. Die beiden saßen am Tisch und lauschten schweigend.
    An diesem Seeufer in Finnland hatte der Klang der Musik einen ganz anderen Zauber als in Tsukurus Wohnung in Tokio. Doch ganz gleich, wo man sie hörte und ob sie von CD oder einer alten Langspielplatte kam, ihre Schönheit blieb unverändert. Er sah Yuzu im Wohnzimmer ihrer Eltern am Klavier. Sie beugte sich mit gesenktem Blick über die Tasten, die Lippen leicht geöffnet wie auf der Suche nach unausgesprochenen Worten. In solchen Momenten löste sie sich von sich selbst.
    Das Stück endete, und nach einer kurzen Pause begann das nächste. »Les cloches de Genève«. Eri nahm die Fernbedienung und stellte den Ton leiser.
    »Diese Aufnahme klingt etwas anders als die, die ich immer höre«, sagte Tsukuru.
    »Welche hörst du denn?«
    »Die von Lasar Berman.«
    Eri schüttelte den Kopf. »Die kenne ich nicht.«
    »Bermans Interpretation erscheint mir ein wenig feinsinniger. Die hier ist auch ausgezeichnet, aber sie klingt irgendwie so getragen – eher wie eine Klaviersonate von Beethoven.«
    Eri lächelte. »Vielleicht liegt es an Alfred Brendel. Sehr feinsinnig ist seine Interpretation wohl nicht. Aber mir gefällt sie. Vielleicht ist das auch Gewohnheit, weil ich immer nur diese Version gehört habe.«
    »Yuzu hat

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