Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
und lauschte auf Eris Herzschlag, der sich bald mit dem Klappern des kleinen Bootes an der Anlegestelle verband.

17
    Die beiden setzten sich wieder an den Tisch und erzählten einander, was sie auf dem Herzen hatten. Das meiste davon staute sich seit Langem unausgesprochen irgendwo in den Tiefen ihrer Seelen. Sie hoben die Deckel, die ihre Herzen verschlossen, stießen die Türen der Erinnerung auf und öffneten sich einer dem anderen.
    »Am Ende habe ich Yuzu im Stich gelassen«, sagte Eri. »Bin gewissermaßen vor ihr geflohen. Sie hat mich derart verfolgt, dass ich möglichst weit fort wollte. Deshalb habe ich mich in die Töpferei gestürzt, Edvard geheiratet und bin nach Finnland gegangen. Es hat sich ganz natürlich so ergeben. Es steckte kein Plan dahinter. Aber es hatte doch mit dem Gefühl zu tun, dass ich mich nicht mehr um Yuzu zu kümmern brauchte. Sie war mir näher als irgendjemand sonst, lange hielt ich sie sogar für mein anderes Ich. Ich wollte ihr unbedingt beistehen. Andererseits war ich völlig erschöpft. Die ständige Beschäftigung mit ihr hatte mich ausgelaugt. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte sie nicht davon abhalten, sich immer mehr aus der Realität zurückzuziehen, und das belastete mich sehr. Wäre ich in Nagoya geblieben, wäre ich irgendwann selbst verrückt geworden. Obwohl ich manchmal nicht weiß, ob das nur eine Ausrede war.«
    »Nein, das ist keine Ausrede. So hast du dich eben gefühlt, und es ist nichts Schlechtes daran, es zuzugeben.«
    Eri biss sich auf die Lippen. »Das ändert nichts daran, dass ich Yuzu im Stich gelassen habe. Danach ist sie allein nach Hamamatsu gegangen und grausam umgekommen. Sie hatte einen so schönen, zarten Hals, wie ein graziler Vogel. Weißt du noch? Als würde er bei der leisesten Berührung brechen. Wenn ich in Japan geblieben wäre, wäre so etwas Grauenhaftes wahrscheinlich nicht passiert. Ich hätte sie nie allein in eine fremde Stadt ziehen lassen.«
    »Möglich. Aber dann wäre es zu einem anderen Zeitpunkt an einem anderen Ort passiert. Du warst nicht Yuzus Hüterin. Du konntest nicht vierundzwanzig Stunden am Tag auf sie aufpassen. Du hattest ein eigenes Leben. Du hast getan, was du konntest, aber es gibt Grenzen.«
    Eri schüttelte den Kopf. »Das habe ich mir auch gesagt. Immer und immer wieder. Aber das hilft mir nicht. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich von Yuzu entfernt habe, um mich selbst zu schützen. Zumindest zum Teil. Abgesehen von der Frage, ob ich sie hätte retten können oder nicht, liegt das Problem in meiner Entscheidung. Ganz zu schweigen davon, dass ich dadurch auch dich verloren habe. Weil Yuzus Probleme Vorrang hatten, musste ich jede Beziehung zu dir abbrechen, der du überhaupt nichts getan hattest. Nur weil es in meinen Plan passte, habe ich dich so sehr verletzt. Obwohl ich dich so gern hatte …«
    Tsukuru schwieg.
    »Und das ist nicht einmal alles«, sagte Eri.
    »Nein?«
    »Nein. Um die Wahrheit zu sagen, habe ich nicht nur an Yuzu gedacht, als ich dich aus der Gruppe ausschloss. Das war nur vordergründig. Letztendlich habe ich es getan, weil ich feige war. Weil ich kein Selbstvertrauen hatte. Ich wusste, dass du mich zwar mochtest, aber nichts von mir wolltest. Ich dachte, du hättest nur Augen für Yuzu. Nur deshalb konnte ich dich so erbarmungslos ächten. Das gab mir nämlich auch die Möglichkeit, meine Gefühle für dich zu ersticken. Hätte ich bloß mehr Selbstbewusstsein und Mut gehabt und mich von meinem dummen Stolz lösen können, hätte ich dich nie so grausam behandelt. Unter keinen Umständen. Aber ich war damals nicht ganz richtig im Kopf. Was ich getan habe, ist schrecklich, und ich bitte dich von ganzem Herzen um Vergebung.«
    Eine Zeit lang herrschte Schweigen.
    »Ich hätte dich schon viel früher um Verzeihung bitten müssen«, sagte Eri. »Das weiß ich sehr wohl. Aber ich konnte es einfach nicht. Weil ich mich so sehr geschämt habe.«
    »Meinetwegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagte Tsukuru. »Die Gefahr liegt hinter mir. Ich habe die Fähigkeit, nachts allein auf dem Meer zu treiben, ohne unterzugehen. Wir beide haben uns angestrengt und überlebt. Aber selbst wenn wir andere Urteile gefällt und andere Entscheidungen getroffen hätten, wären wir trotz allem letztendlich genau dort gelandet, wo wir jetzt sind.«
    Eri biss sich auf die Lippen. »Würdest du mir eins sagen?«, fragte sie.
    »Was denn?«
    »Angenommen, ich hätte mich damals getraut, dir

Weitere Kostenlose Bücher