Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
kniff die Augen zusammen, als schaue sie in eine ferne Landschaft.
»Eines Tages überredete mich eine Freundin von der Uni, sie zu einem Töpferkurs zu begleiten. Eigentlich ging ich nur halbherzig mit, um mal zu schauen. Und da entdeckte ich, dass es genau das war, was ich lange gesucht hatte. An der Töpferscheibe bekam ich einen offeneren, direkteren Zugang zu mir selbst. Ich konzentrierte mich ausschließlich darauf, eine Form zu schaffen, und es gelang mir, alles andere zu vergessen. Seit jenem Tag töpferte ich wie in Trance. Während des Studiums war es ein Hobby, aber ich wollte das Töpfern unbedingt zu meinem Beruf machen. Nach meinem Examen nahm ich Abschied von der Literatur, jobbte ein Jahr lang und schrieb mich dann noch einmal auf einer Kunsthochschule ein. Dort lernte ich den finnischen Studenten Edvard kennen. Und am Ende habe ich ihn geheiratet und bin hierhergekommen. Seltsam, oder? Hätte die Freundin mich nicht zu dem Töpferkurs überredet, wäre mein Leben wohl völlig anders verlaufen.«
»Du bist ganz offensichtlich sehr begabt.« Tsukuru deutete auf die Gefäße im Regal. »Ich kenne mich mit Keramik nicht aus, aber deine Werke anzuschauen und zu berühren, ruft großes Wohlempfinden in mir hervor.«
Eri lächelte. »Begabt … ich weiß ja nicht. Aber meine Sachen verkaufen sich hier sehr gut. Nicht dass ich eine Menge Geld damit verdienen würde, aber dass jemand etwas, das ich gemacht habe, gebrauchen kann, ist einfach wunderbar.«
»Ich verstehe dich sehr gut«, sagte Tsukuru. »Denn ich mache auch Dinge. Auch wenn es ganz andere Dinge sind.«
»Ja, es besteht ein gewisser Unterschied zwischen Geschirr und Bahnhöfen.«
»Und doch sind es beides Dinge, die wir in unserem Leben brauchen.«
»Natürlich«, sagte Eri und verstummte. Nach und nach erlosch ihr Lächeln. »Es gefällt mir hier. Wahrscheinlich lasse ich meine Knochen sogar in dieser Erde begraben.«
»Du gehst also nicht mehr nach Japan zurück?«
»Ich habe die finnische Staatsangehörigkeit, und mein Finnisch ist in letzter Zeit auch ganz gut geworden. Die Winter sind hier zwar lang, aber so findet man die Zeit, gute Bücher zu lesen. Und wer weiß, vielleicht bekomme ich dabei ja Lust, selbst etwas zu schreiben. Meine Mädchen sind an das Leben hier gewöhnt und haben hier ihre Freundinnen. Außerdem ist Edvard ein sehr lieber Mann. Seine Familie unterstützt uns sehr, und mit meiner Arbeit könnte es nicht besser laufen.«
»Und du wirst gebraucht.«
Eri blickte auf und sah Tsukuru lange an.
»Die Entscheidung, mich in Finnland begraben zu lassen, habe ich getroffen, als ich erfuhr, dass Yuzu ermordet worden war. Ao hatte mich telefonisch benachrichtigt. Damals war ich mit meiner älteren Tochter schwanger und konnte nicht zur Beerdigung. Es war eine furchtbare Zeit für mich. Der Gedanke, dass Yuzu irgendwo in einer fremden Stadt auf so grausame Weise getötet worden war und zu Asche verbrannt wurde, zerriss mir das Herz. Und dass ich sie nie wiedersehen würde. Damals beschloss ich, dass ich, wenn ich ein Mädchen bekäme, es Yuzu nennen würde. Und dass ich nicht mehr nach Japan zurückkehren würde.«
»Also hast du der Kleinen den Namen Yuzu gegeben.«
»Yuzu Kurono-Haatainen«, sagte sie. »So lebt sie wenigstens im Klang des Namens meiner Tochter weiter.«
»Aber warum ist Yuzu so ganz allein nach Hamamatsu gezogen?«
»Das war kurz nachdem ich nach Finnland gegangen war. Ich weiß nicht, warum. Wir haben uns regelmäßig geschrieben, aber sie hat mir nichts Genaueres berichtet. Nur dass sie aus beruflichen Gründen nach Hamamatsu ziehen würde. Obwohl sie eigentlich genug Arbeit in Nagoya hatte und allein in einer fremden Stadt zu leben für sie praktisch Selbstmord war.«
Yuzu war in ihrer Wohnung in Hamamatsu mit einer Art Stoffgürtel erwürgt worden. Die Details hatte Tsukuru aus Archivausgaben von Zeitungen und Zeitschriften. Auch im Internet hatte er recherchiert.
Es war kein Einbruch gewesen. Shiros Portemonnaie mit Bargeld lag offen an einer Stelle, wo jeder es sehen konnte. Anzeichen für eine Vergewaltigung gab es nicht. Die Wohnung war aufgeräumt, es hatte offenbar kein Kampf stattgefunden. Die Nachbarn, die auf der gleichen Etage wohnten, hatten keine ungewöhnlichen Geräusche gehört. Im Aschenbecher lagen ein paar Kippen von Mentholzigaretten, aber das waren Yuzus eigene. (Tsukuru zog nachdenklich die Brauen zusammen, als er das las. Shiro hatte geraucht?) Der mutmaßliche
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