Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
wieder gesund wurde. Das stand für mich an erster Stelle. Sie hatte ein Problem, das sie das Leben kosten konnte, und brauchte meine Hilfe. Mir blieb nichts anderes übrig, als von dir zu verlangen, nachts allein im kalten Meer zu schwimmen. Und ich dachte, dass jemand wie du es wahrscheinlich schaffen würde. Dass du die Kraft dazu hättest.«
Eine Weile sagte keiner von beiden etwas. Vor dem Fenster rauschte der Wind in den Blättern der Bäume, und die Wellen plätscherten.
»Yuzu bezwang also ihre Magersucht und beendete ihr Studium. Und dann?«
»Sie ging noch einmal wöchentlich zur Beratung, aber sie konnte ein fast normales Leben führen. Zumindest sah sie nicht mehr aus wie ein Geist. Aber sie war schon längst nicht mehr dieselbe wie früher.«
An dieser Stelle holte Eri tief Luft und suchte nach Worten.
»Sie war wie verwandelt. Vieles war ihrem Herzen einfach entfallen, und damit war auch ihr Interesse an der Außenwelt zunehmend auf dem Rückzug. Selbst ihr Interesse an Musik hatte sie fast verloren. Es tat weh, das mit anzusehen. Das Einzige, an dem sie die Freude nicht verloren hatte, war der Unterricht mit den Kindern. Auch in Zeiten, als es ihr seelisch sehr schlecht ging, als sie körperlich so schwach war, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte, gab sie weiter einmal in der Woche in dieser katholischen Einrichtung Klavierunterricht für die Kinder. Vielleicht nahm sie daher den Antrieb, sich aus dem Abgrund wieder heraufzuarbeiten. Ich glaube, wenn Yuzu das nicht gehabt hätte, wäre sie wirklich am Ende gewesen.«
Eri wandte sich zum Fenster, sah in den Himmel über den Bäumen. Er war noch immer von einer dünnen Wolkenschicht bedeckt. Dann richtete sie ihren Blick wieder auf Tsukuru.
»Damals hatte Yuzu schon nicht mehr das bedingungslose Vertrauen zu mir, das sie früher gehabt hatte«, sagte Eri. »Sie sagte, sie sei mir sehr dankbar. Dass ich mich so für sie aufgeopfert hatte. Das habe ich ihr auch geglaubt. Doch gleichzeitig hatte sie das Interesse an mir verloren. Wie ich schon sagte, hatte sie das Interesse an fast allem verloren, einschließlich mir. Es fiel mir schwer, es mir einzugestehen. Wir waren so viele Jahre beste Freundinnen gewesen, und sie war mir sehr nah. Aber so war es eben. Ich war entbehrlich geworden.«
Eri starrte eine Weile abwesend auf irgendeinen Punkt auf dem Tisch.
»Yuzu war kein Schneewittchen mehr. Vielleicht war sie es auch müde geworden, Schneewittchen zu sein. Und auch ich war es ein wenig müde, die sieben Zwerge zu sein.«
Eri nahm gedankenlos ihren Kaffeebecher in die Hand und stellte ihn dann wieder auf den Tisch.
»Jedenfalls funktionierte damals unsere tolle Gruppe – also unsere Vierergruppe, in der du fehltest – schon nicht mehr wie früher. Wir hatten die Schule verlassen, und jeder ging seinem Alltag nach. Das ist ganz normal, wir waren eben keine Schüler mehr. Unnötig zu sagen, dass die Trennung von dir bei jedem von uns allen eine Wunde hinterlassen hatte. Und sie war nicht nur oberflächlich.«
Tsukuru hörte ihr aufmerksam zu.
»Du warst nicht da, aber du warst immer bei uns«, sagte Eri.
Wieder herrschte ein kurzes Schweigen.
»Eri, ich möchte mehr über dich erfahren«, sagte Tsukuru. »Vor allem, was dich hierhergeführt hat.«
Eri kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schräg. »Um die Wahrheit zu sagen, drehten sich die letzten Jahre meiner Teenagerzeit vollständig um Yuzu. Es kam so weit, dass ich, wenn ich mich umschaute, das Gefühl hatte, nicht mehr da zu sein. Ich wollte damals gern einen Beruf ausüben, der etwas mit Schreiben zu tun hatte. Ich habe schon immer gern geschrieben und mit Geschichten oder Gedichten experimentiert. Das weißt du sicher noch, oder?«
Tsukuru nickte. Sie hatte immer ein dickes Heft dabei gehabt und sich Notizen gemacht.
»Aber als ich auf die Uni kam, hatte ich überhaupt keine Zeit mehr dafür. Ich schaffte es gerade so, meine Hausarbeiten zu schreiben, während ich mich um Yuzu kümmerte. In der Zeit hatte ich zweimal einen Freund, aber mit keinem klappte es. Ich war hauptsächlich damit beschäftigt, Yuzu zu helfen, und hatte nie genügend Zeit für Verabredungen. Was ich auch tat, es ging daneben. Irgendwann hielt ich inne und schaute mich um. Was machst du hier eigentlich?, fragte ich mich. Mein Leben war ohne Ziel. Alles lief ins Leere, und ich begann mein Selbstvertrauen zu verlieren. Für Yuzu war es natürlich eine harte Zeit, aber auch für mich.«
Eri
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