Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
meine Liebe zu gestehen. Hättest du mich zur Freundin genommen?«
»Ich hätte dir wahrscheinlich kein Wort geglaubt«, sagte Tsukuru.
»Warum nicht?«
»Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ein Mädchen in mich verliebt war und meine Freundin sein wollte.«
»Du warst sympathisch, liebenswürdig und gelassen und hattest schon damals einen eigenen Stil. Und du sahst gut aus.«
Tsukuru schüttelte den Kopf. »Ich sah vollkommen langweilig aus. Mir hat mein Gesicht nie gefallen.«
Eri lächelte. »Kann sein. Du sahst langweilig aus, und ich war nicht bei Trost. Aber für ein dummes sechzehnjähriges Ding wie mich sahst du gut genug aus. Es wäre toll gewesen, einen Freund wie dich zu haben.«
»Ich hatte auch gar keine Persönlichkeit.«
»Eine Persönlichkeit hat jeder, solange er lebt. Nur gibt es Menschen, bei denen sie sofort ins Auge sticht, und andere, bei denen man sie schwer erkennt.« Eri kniff die Augen zusammen und sah ihm geradewegs ins Gesicht. »Also, wie lautet deine Antwort? Hätten wir ein Paar werden können?«
»Natürlich«, sagte Tsukuru. »Ich hatte dich sehr gern und fand dich auf eine andere Art attraktiv als Yuzu. Hättest du dich mir damals anvertraut, hätte ich dich liebend gern zur Freundin gehabt. Wir hätten bestimmt gut zusammengepasst.«
Wahrscheinlich hätten sie wirklich ein gutes Paar abgegeben, auch in sexueller Hinsicht. Zwischen Eri und ihm gab es viele Gemeinsamkeiten. Auch wenn sie charakterlich sehr verschieden waren – Tsukuru introvertiert und wortkarg, Eri gesellig und gesprächig –, liebten sie es beide, mit ihren Händen Dinge zu erschaffen, die Form und Inhalt besaßen. Vermutlich hätte ihre Beziehung nicht lange angedauert. Mit der Zeit hätte ihre unterschiedliche Veranlagung eine Kluft zwischen ihnen hervorgerufen, die nicht überbrückbar gewesen wäre. Sie waren ja noch so jung gewesen. Jeder hätte sich in seine Richtung entwickelt, und irgendwann wären sie an eine Gabelung gelangt, an der ihre Wege sich getrennt hätten. Vielleicht hätte es sich ganz natürlich so ergeben, ohne Streit und ohne Verletzungen. Und am Ende wäre Tsukuru nach Tokio gezogen, um Bahnhöfe zu bauen, und Eri hätte Edvard geheiratet, um mit ihm nach Finnland zu gehen.
So hätte es durchaus kommen können. Vielleicht hätte sich diese Erfahrung sogar positiv auf beider Leben ausgewirkt, und sie wären auch später gute Freunde geblieben. Aber so war es eben nicht gekommen. In Wirklichkeit war etwas völlig anderes geschehen.
»Das freut mich, auch wenn es eine Lüge ist«, sagte Eri.
»Das ist keine Lüge«, sagte Tsukuru. »Ich rede nicht nur so daher und schon gar nicht bei so etwas. Wir beide hätten ganz sicher eine großartige Zeit miteinander verbracht. Schade. Ich bereue es von ganzem Herzen.«
Eri lächelte. Ihr Lächeln war frei von Ironie.
Tsukuru erinnerte sich an die erotischen Träume, die er bisweilen von Yuzu und natürlich von Eri gehabt hatte. In diesen Träumen waren sie immer zu zweit aufgetreten. Doch ejakuliert hatte er immer in Yuzus Körper. Nie in Eris. Das musste doch etwas bedeuten. Aber das wollte er Eri dann doch nicht erzählen. Bei aller Offenheit.
Wenn er an diese Träume dachte, kamen ihm Zweifel. Er war nicht mehr sicher, dass Yuzus Behauptung, er habe sie vergewaltigt (und sie sei schwanger geworden), völlig frei erfunden war. Allein auf diese Weise von ihr geträumt zu haben, warf in ihm die Frage auf, ob er nicht doch eine gewisse Verantwortung trug. Nicht nur für die Vergewaltigung, sondern sogar für ihren Tod. Vielleicht war in jener regnerischen Nacht im Mai etwas in ihm, ein Teil von ihm, über den er keine Kontrolle hatte, nach Hamamatsu gelangt und hatte diesen Gürtel um Yuzus schönen schlanken Vogelhals gelegt.
Tsukuru stellte sich vor, wie er an Yuzus Tür klopfte und sagte: »Mach auf. Ich muss mit dir reden.« Sein nasser schwarzer Regenmantel verströmte den dumpfen Geruch nächtlichen Regens.
»Tsukuru?«, sagte Yuzu.
»Ich muss unbedingt mit dir reden. Es ist sehr wichtig. Ich bin nur deshalb nach Hamamatsu gekommen. Ich habe nicht viel Zeit. Bitte, mach auf«, sagte er durch die geschlossene Tür. »Tut mir leid, dass ich nicht vorher angerufen habe. Aber dann hättest du dich bestimmt geweigert, mich zu sehen.«
Nachdem Yuzu eine Weile gezögert hatte, löste sie wortlos die Türkette. Seine rechte Hand umklammerte, verborgen in seiner Tasche, einen Stoffgürtel.
Tsukuru runzelte unwillkürlich die
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