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Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Titel: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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hauchst ihm Leben ein. Du hast die Kraft dazu. Wie könntest du sonst nachts allein im eisigen Meer schwimmen?«
    Eri lud ihn ein, zum Abendessen zu bleiben.
    »Hier in der Gegend kann man große Forellen fangen. Wir braten sie in der Pfanne, nur mit ein paar Kräutern, aber sie sind köstlich. Hättest du nicht Lust, mit uns zu Abend zu essen?«
    »Danke, aber ich sollte wohl allmählich aufbrechen. Ich möchte noch vor Einbruch der Dunkelheit in Helsinki ankommen.«
    Eri lachte. »Dunkelheit? Wir sind in Finnland. Im Sommer ist es hier die ganze Nacht taghell.«
    »Trotzdem«, sagte Tsukuru.
    Eri hatte Verständnis.
    »Ich danke dir, dass du von so weit her gekommen bist, um mich zu sehen. Ich bin sehr froh, dass wir reden konnten. Wirklich. Mir ist eine schwere Last von der Seele genommen, die mich lange bedrückt hat. Natürlich hat sich damit nicht alles in Wohlgefallen aufgelöst, aber mir hat das sehr geholfen.«
    »Mir geht es genauso«, sagte Tsukuru. »Ich habe deinen Mann und deine Töchter kennengelernt und weiß jetzt, wie du lebst. Schon deshalb hat es sich für mich gelohnt, nach Finnland zu kommen.«
    Die beiden traten aus der Hütte und gingen langsam, Schritt für Schritt, auf den Golf zu. Zum Schluss umarmten sie sich noch einmal. Diesmal weinte Eri nicht. Er spürte ihr sanftes Lächeln an seinem Hals und ihre Brüste, erfüllt von der Kraft, die sie zum Weiterleben brauchte. Ihre Hände auf seinem Rücken fühlten sich stark und real an.
    Plötzlich fielen ihm die Geschenke ein, die er für Eri und die Kinder aus Japan mitgebracht hatte. Er holte sie aus der Umhängetasche, die noch im Auto lag. Eine Haarspange aus Buchsbaum für Eri und Bilderbücher für die Kinder.
    »Danke, Tsukuru«, sagte Eri. »Du hast dich wirklich nicht verändert. Liebenswert wie immer.«
    »Das ist doch nichts Besonderes«, sagte Tsukuru. Und er dachte daran, dass er an dem Abend, als er die Geschenke gekauft hatte, Sara mit dem Mann auf der Omotesando gesehen hatte. Hätte er keine Geschenke gekauft, hätte er sie nicht gesehen. Seltsam.
    »Leb wohl, Tsukuru. Komm gut nach Hause«, sagte Eri zum Abschied. »Und lass dich nicht von den bösen Kobolden fangen.«
    »Von welchen Kobolden?«
    Eri kniff die Augen zusammen. Ihre Lippen verzogen sich zu ihrem alten schelmischen Lächeln. »Das sagt man hier so. Lass dich nicht von den bösen Kobolden fangen. In diesen Wäldern leben seit undenklichen Zeiten die seltsamsten Wesen.«
    »In Ordnung.« Tsukuru lachte. »Ich passe auf, dass die bösen Kobolde mich nicht erwischen.«
    »Wenn du Gelegenheit hast, richte doch Ao und Aka aus, dass es mir gut geht«, sagte Eri.
    »Mache ich.«
    »Weißt du, ich finde, du solltest dich hin und wieder mit den beiden treffen. Zu dritt, meine ich. Das wäre bestimmt gut für dich und auch für die beiden.«
    »Du hast recht. Das wäre gut«, sagte Tsukuru.
    »Und für mich wahrscheinlich auch,« sagte Eri. »Auch wenn ich nicht dabei sein kann.«
    Tsukuru nickte. »Wenn ich alles geregelt habe, finde ich eine Gelegenheit. Ich verspreche es.«
    »Es ist schon seltsam«, sagte Eri.
    »Was denn?«
    »Dass diese wunderbare Zeit vorbei ist und es niemals wieder so sein wird. Dass der Fluss der Zeit all unsere fabelhaften Möglichkeiten mit sich fortgetragen hat und sie nun verschwunden sind.«
    Tsukuru nickte wortlos. Er fand, er sollte etwas sagen, aber er fand keine Worte.
    »Die Winter sind lang in diesem Land.« Eri ließ ihren Blick über den See schweifen. Es war, als würde sie von einer anderen Eri an einem weit entfernten Ort sprechen. »Und die Nächte sind noch länger. Man glaubt, sie würden nie zu Ende gehen. Alles ist zu Eis erstarrt. Du denkst, es wird nie mehr Frühling. Also kommst du auf allerlei düstere Gedanken. Auch wenn du dir immer wieder vornimmst, diese Dinge nicht zu denken.«
    Noch immer wusste Tsukuru nicht, was er sagen wollte. Schweigend folgte er ihrem Blick über den See. Erst im Flugzeug nach Narita, nachdem er sich angeschnallt hatte, fiel ihm ein, was er hatte sagen wollen. Aus irgendeinem Grund kamen ihm die richtigen Worte immer erst dann in den Sinn, wenn es zu spät war.
    Er drehte den Schlüssel und ließ den Motor an. Der Allradantrieb des Volkswagens erwachte aus seinem Schlummer und stimmte ein vertrauenerweckendes Brummen an.
    »Leb wohl«, sagte Eri. »Mach’s gut, ja? Und halte Sara ganz fest. Du brauchst sie. Finde ich.«
    »Ich werde mich bemühen.«
    »Und merk dir eins, Tsukuru. Es fehlt dir

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