Die Plastikfresser
Über ihm war alles dunkel, schwarz wie ein Grab.
Seine Nerven spannten sich für den letzten Angriff, doch als er sich dann bewegte, geriet er ins Rutschen, wäre um Haaresbreite abgestürzt, verkeilte sich mit einem Ruck und fing den Sturz gerade noch auf.
Plötzlich begann er mit dem Rücken abzugleiten, die Wand schien nicht mehr hart und fest zu sein. Er reagierte in blinder Panik, wodurch er beinahe vollends sein Gleichgewicht verlor – bis ihm bewußt wurde, daß dies alles nur eins bedeuten konnte: er befand sich an einer Biegung der Röhre.
Er schob sich weiter hoch und in die Biegung hinein, bis er flach auf dem Rücken lag und die Füße über sich hatte. Nun spürte er die Wandung der Röhre unter seinem Gewicht, nicht mehr als Widerstand des Drucks, den er mit Füßen, Händen und Rücken ausübte.
Die Erlösung war ungeheuerlich, fünf Minuten lag er reglos da. Die Luft schien hier besser, sauberer zu sein. Behutsam drehte er sich auf Hände und Füße und begann zu kriechen. Er holte die Lampe aus der Tasche. Der Strahl war nun sehr schwach, nur mit Mühe war zu erkennen, daß vor ihm eine weitere, rechtwinkelige Biegung auf ihn wartete – und eine weitere Senkrechtstrecke!
Er kroch weiter, erreichte die Biegung und – nahm blaßblaues Tageslicht wahr, das von oben herabschimmerte. Er knipste die Lampe aus, spähte vorsichtig um die Biegung und blickte nach oben.
Er befand sich ungefähr drei Meter unter einem Gitter. Das blasse Tageslicht schimmerte wie durch einen Filter auf ihn herab.
Plötzlich brach seine Selbstbeherrschung zusammen. Minutenlang lag er bewegungsunfähig unter dem Gitter, Tränen strömten ihm übers Gesicht.
Die letzte Etappe war verhältnismäßig leicht zu bewältigen. Er hielt sich an den Gitterstäben fest und lauschte. Wo war er? Draußen herrschte ungewöhnliche Stille. Er schüttelte den Kopf, um sein Gehör zu schärfen, aber da war nicht das leiseste Geräusch. Welcher Teil von London konnte das sein, wo es keine Geräusche gab? London war nie still. Angst stieg in ihm auf. Was war geschehen? Warum diese Stille?
Von seinem Standort konnte er nur eine Mauer sehen. Er versuchte zu rufen, schluckte, benetzte seine Kehle, aber alles, was er hervorbrachte, war ein trockenes Krächzen.
Es war anstrengend, sich an dem Gitter festzuhalten; die Arme schmerzten ihm. Er sah sich um, ob es auf irgendeine Weise zu öffnen war. Ein Verschluß? Ein Riegel? Nichts.
Er rief und schrie immer wieder, bis er am ganzen Leib zitterte und schließlich hemmungslos schluchzte.
Da war niemand.
Er klammerte sich wie ein Affe an das Gitter, fluchte und schrie Obszönitäten hinaus, aber es kam niemand, keine Antwort. Und schließlich, in einem Anfall ohnmächtiger Wut trampelte er mit den Füßen gegen das Metall der Schachtwand. Plötzlich spürte er, wie sie unter seinen Tritten nachgab. Erschrocken klammerte er sich noch fester an das Gitter. Er hing im Nichts. Dann brachte er seine Füße wieder hoch und tastete ängstlich nach der Wand. Während er sich mit nur einer Hand am Gitter festhielt, tastete er mit der anderen in seiner Tasche nach der Lampe.
Er hatte ein Stück Wand durchstoßen. Und dahinter lag ein Raum. Er richtete den schwachen Lichtstrahl durch die Öffnung. Er konnte eine Wand ausmachen, und darunter ein paar Stufen. Hastig steckte er die Lampe in die Tasche, zog auch den zweiten Fuß hoch, stieß sich ab und schwang wie ein Pendel mit beiden Füßen gegen die gelockerte Wandfüllung.
Einmal. Zweimal. Dreimal. Beim dritten Ansturm brach das Wandstück weg. Er ließ sich durch die schartige Öffnung fallen und schlug hart auf den Stufen auf. Sie führten zu einer Holztür. Er hatte kaum noch die Kraft, sich die Stufen hochzuschleppen.
Die Tür schwankte vor seinen Augen, als er eine Hand ausstreckte und nach dem Schloß tastete. Er war überzeugt, daß er, wenn die Tür verschlossen war, nie die Kraft aufbringen würde, sie aufzubrechen. Er drückte die Klinke. Nichts rührte sich. Er drückte noch einmal und zog. Plötzlich schwang die Tür auf, und eiskalte Winterluft wehte ihm ins Gesicht.
Er stolperte in den Tag hinaus.
15.
Auf dem kleinen Hinterhof lag der Schnee fast zehn Zentimeter hoch. Gerrards Kleider, während des Aufstiegs von Schweiß völlig durchnäßt, wurden nun in der frostigen Luft klamm und hart. Ringsum herrschte Stille. Nicht das leiseste Geräusch, kein Verkehrslärm, keine Stimmen, drangen in das kleine Mauerviereck. Nicht
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