Die Plastikfresser
noch ein paar in Reserve mit«, sagte Slayter.
Gerrard hielt eine der Fackeln ins Feuer. Sie brannte sofort und sprühte Funken. Gerrard hielt sie weit von sich, als ein Funke ihm die Wange verbrannte.
Wieder kam ihm der Wahnwitz ihrer Situation zu Bewußtsein: da befanden sie sich unter einer gewaltigen Stadt – und hatten keinen Tropfen Wasser mehr, nichts zu essen, und ein paar Schritte weiter lauerte ein Irrer, der darauf aus war, sie umzubringen. Im Schein der Fackel huschten ihre Schatten über den Bahnsteig. Auf der gegenüberliegenden Wand hingen vergilbte Plakate: ›Craven A‹-Zigaretten wurden angepriesen. »Bovrih, eine Marke, an die er sich gar nicht mehr erinnern konnte, daneben eine Werbung für ›Bournville Kakao‹, zwei Kinder auf einer Waage und daneben stand: »Das macht gesunde Körper.«
»Wir könnten eigentlich ein paar Antilopen an die Wand malen«, sagte Gerrard.
Slayter blickte ihn mit einem schiefen Lächeln an: »Wenn wir nicht machen, daß wir hier wegkommen, können wir uns bald ein paar Kreuze an die Wand malen.«
Gerrard lächelte zurück. »Das bezweifle ich«, sagte er und ging den Bahnsteig hinunter; dann drehte er sich noch einmal um: Paßt gut auf mich auf«, sagte er. »Ich will nicht noch einmal eins von hinten über den Schädel bekommen.«
Während Slayter und Anne weitere Reservefackeln herstellten, betrat Gerrard das heruntergebrannte Signalhäuschen. Einen Augenblick lang zögerte er, dann trat er entschlossen durch die verkohlten Überreste der Tür. Dahinter lag ein kurzer Tunnel aus Ziegelsteinen, der zu einem geräumigen senkrechten Schacht von ungefähr fünf Meter Durchmesser führte. Die Luft war eisig. Zerbrochene Betonplatten bildeten den Boden, in den Rissen glänzte Wasser. In der Wand aus Ziegelsteinen befanden sich in regelmäßigen Abständen Eisenrippen. Über dem unteren Viertel des Schachts befanden sich zwei in die Wand eingelassene Gewölbebogen mit Gittern davor. Fast wie auf den alten Kupferstichen vom Newgate-Gefängnis, dachte Gerrard.
Anne trat neben ihn. Sie hielt eine brennende Fackel in der
Hand. Slayter folgte ihr, auch er trug eine Fackel in der Hand und ein Bündel von Reservefackeln unterm Arm.
Das vereinte Licht ihrer Fackeln leuchtete den Boden des Schachts aus. Das obere Ende war nur undeutlich zu sehen. Es war schätzungsweise dreißig Meter weit entfernt, zwei runde Öffnungen waren auszumachen.
»Von da oben kommt die frische Luft«, sagte Slayter. »Wenn wir es schaffen, da hinauf zu kommen, sind wir draußen.«
»Aber wie?« fragte Anne.
»Wir könnten’s ja mal mit Klettern versuchen«, sagte Gerrard.
»Das schaffe ich nie«, sagte Anne.
Gerrard sah Slayter an. »Ich auch nicht«, sagte Slayter. »Ich bin nicht schwindelfrei.«
Gerrard untersuchte die Wand. Die eisernen Rahmen waren beidseitig mit Nieten versehen; sie hatten einen Durchmesser von mindestens fünf Zentimetern und ragten ungefähr dreieinhalb Zentimeter weit hervor. Leicht würde der Aufstieg nicht sein.
»Vielleicht kann ich es schaffen«, sagte Gerrard. »Dann brauche ich nur noch ein Seil und kann euch beide hochziehen.«
Er begann zu klettern, obwohl er kaum noch die Kraft dazu hatte. Seine Muskeln schmerzten und zitterten vor Anstrengung. Im Licht der Fackeln schienen die Greif- und Stützpunkte für seine Hände und Füße ständig ihre Position zu verändern. Ihre Schatten verlängerten und verkürzten sich, sprangen hin und her, – ihm war, als klettere er in einem Alptraum. Nichts war fest, das eiserne Rahmenwerk schien der Ebbe und Flut unberechenbarer Gezeiten unterworfen zu sein.
Seine Muskeln arbeiteten mechanisch. Dunkle Bereiche seines Gehirns, die seine motorischen Nerven steuerten, erinnerten sich an halbvergessene Fertigkeiten, und so kletterte er sicher und stetig zu den dunklen, kreisförmigen Öffnungen hinauf.
Oben angelangt, half ihm das Licht der Fackeln nicht mehr viel, undeutlich konnte er dicht über sich das Ende von zwei zylindrischen Schächten erkennen, die beide je einen Durchmesser von ungefähr anderthalb Metern hatten.
Wie er fast erwartet hatte, waren die Schächte innen glatt, Hand- oder Fußgriffe waren nicht vorhanden. Hier war nur noch mit Kaminsteigen weiterzukommen, indem er sich mit den Schultern gegen die eine und mit den Füßen gegen die andere Seite preßte, um sich dann zentimeterweise hochzuarbeiten.
Aber dazu mußte man erst in einen der Schächte gelangen. Es gab nur einen Weg: sich auf der
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