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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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scheinbar simple Akt macht aus ihm eine Respektsperson. Die Kirche ist groß, und die acht Granitpfeiler lassen sie ein bisschen streng, wenn auch nicht ausdruckslos erscheinen. Der romanische Bogen der Hauptkapelle ist prächtig, seit dem 17. Jahrhundert war er überbaut und ist erst kürzlich wieder freigelegt worden. Aus derselben Epoche muss eine Darstellung der heiligen Anna stammen, in deren Schoß die Jungfrau Maria als kleines Mädchen sitzt und im Lesen unterrichtet wird. Die Arbeit besitzt keinen besonderen künstlerischen Wert und würde auch keine weitere Erwähnung finden, wäre da nicht der Umstand, dass die gesamte Komposition der zentralen Figur den Reisenden an die profane Figur von Julias Amme aus Shakespeares Drama erinnert. Es gibt so viele Ammen Julias, wie es Schauspielerinnen gibt, die sie gespielt haben, dünne und dicke, große und kleine, blonde und dunkelhaarige: Für den Reisenden ist die Amme, die Julia Capulet auf dem Arm trug und dann in all die Geschichten verwickelt wurde, eine rundliche Figur, sehr mütterlich und einfach, der das Mädchen die Haube zerdrückt, während diese ihr das Buch der Zukunft zeigt und natürlich erschrickt über das, was sie sieht. Wenn der Reisende geht, muss die heilige Anna Julia Capulet irgendeine nette Geschichte erzählen: Es war einmal …
    Auf dieser Seite der Cova da Beira liegt die Serra da Gardunha. Der Reisende muss sie umfahren, immer bergauf, und plötzlich taucht vor ihm wieder die Wolke aus der Serra da Estrela auf, die anscheinend hierherverlegt wurde, und es wird noch schlimmer, es ist nicht nur die Wolke, sondern auch der Nebel und der Regen, wie kommt so ein Wetter zustande, wo es doch unten nur ein bisschen bewölkt war. Hier herrschen scheinbar sehr ortsgebundene Witterungsverhältnisse, und wie zum Beweis verzieht sich noch vor Alpedrinha der Nebel, die Wolken brechen auf, und es hört auf zu regnen.
    Alpedrinha ist der Geburtsort des Kardinals. Hier hängt sein Wappen über der Tür der Capela do Leão, auch Santa Catarina genannt. Der Reisende hätte früher kommen sollen. Obwohl noch entfernt, nimmt das Unwetter über den Bergen doch einen Großteil des Tageslichts. Es ist natürlich nicht so, dass man nichts sehen könnte, aber er hat noch ein gutes Stück Weges vor sich, und deswegen, und auch weil Alpedrinha wie ausgestorben ist, läuft der Reisende nur ein wenig durch die Straßen, um die besondere Faszination eines Niedergangs zu verspüren, der sich weigert, sich anderen Lebensweisen anzupassen. Das ist nur ein subjektiver Eindruck, vielleicht vermittelt durch menschenleere Straßen, verschlossene Türen und Fenster, zugezogene Vorhänge. Vor der Pfarrkirche stehen immerhin Mädchen mit Schulbüchern, wahrscheinlich ist der Unterricht gerade zu Ende, und sie treffen sich dort; die Art, wie sie den Reisenden ansehen, neugierig und leicht spöttisch, hinterlässt in ihm ein seltsames Gefühl.
    Weiter oben befindet sich der Brunnen Chafariz de Dom João V. Der Reisende will wenigstens ein Mal den Springbrunnenkönig ansehen, falls der Ausdruck keine Majestätsbeleidigung ist, und als er vor ihm steht, muss er zugeben, dass es sich um ein wirklich imposantes Bauwerk handelt, unglaublich, dass ein einfacher Wasserstrahl so herausgeputzt wird. Nicht jedes Wasser hat dieses Glück. Dieses hier kommt von weit oben aus dem Gebirge, läuft kaskadenartig zwischen Wald und Felsen herab, und wo es früher in den Alpreade floss, setzten ihm die königlichen Architekten ein Ensemble aus Bassins, Rohren und Stufen vor, in dem weniger das kostbare Nass eine Rolle spielt als die kaiserliche Krone, die über allem prangt. Der Reisende blickt von oben auf das Ganze und lächelt über die Respektlosigkeit einiger Jungen, die über die Steine springen, während eine Frau ruft: »Passt auf.« Aber alles hat seine Zeit. Eben lächelte der Reisende noch, und jetzt ist er schon ungeduldig, weil ihn in diesem verschlafenen Städtchen nach Stille verlangt, die sich nicht einstellen will, weil ein paar Jungen spielen und die Mutter nach ihnen ruft, aber nur in der Vollkommenheit erschließt sich der Ort wirklich. Das Spiel nimmt kein Ende, die Mutter ruft immer wieder, der Reisende muss schließlich weichen und wirft einen Blick auf die Ruinen des Palastes, die geflammten Steinornamente und Urnen am Eingang, die Fenster, die entweder mit Brettern vernagelt oder zum cremefarbenen Himmel hin geöffnet sind. Er geht hinunter zur Straße und sieht sich noch

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