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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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einmal um. Ein merkwürdiger Ort ist das. Die Straße führt mitten hindurch und teilt ihn in zwei Hälften, aber es ist, als würde man zwischen zwei Mauern fahren, die die Sicht verstellen. Es gibt genügend Dörfer, die sich verbergen, aber Alpedrinha ist ein wirkliches Geheimnis.
    Vom Himmel fällt feuchte Asche. Die ganze Landschaft ist geheimnisvoll geworden. Es scheint, als würde es plötzlich ganz schnell Abend werden, aber nein, das Tageslicht ist noch da, es schwebt in der Luft, als hätte derjenige, der darüber wacht, eine Pause eingelegt, um dem Reisenden genügend Zeit zu lassen, nach Castelo Novo zu kommen. Für diesen Gefallen wird ihm der Reisende bis an sein Lebensende dankbar sein. Zu dieser Stunde liegt die Landschaft in einem Licht, das sie unvergleichlich erscheinen lässt. Die Straße, nun nicht mehr die, die nach Castelo Branco führt, macht eine große Kurve und verläuft dann durch die gesamte Ebene des Alpreade, was noch nicht viel aussagt, zum Beispiel über den Nebel, der über den Feldern schwebt, die Bäume, im Hintergrund die Serra da Gardunha und vor allem das undefinierbare Licht, das fast nur aus seinem eigenen Vorbeiziehen besteht; der Reisende weiß nicht, wie er es beschreiben soll. Es gelingt ihm einfach nicht.
    Castelo Novo ist für den Reisenden eine der bewegendsten Erinnerungen. Vielleicht wird er eines Tages wiederkommen, vielleicht auch nicht, vielleicht wird er es sogar vermeiden, denn manche Erfahrungen lassen sich nicht wiederholen. Wie Alpedrinha wurde auch Castelo Novo an den Hang eines Berges gebaut. Auf direktem Wege würde man von dort zum höchsten Punkt des Gardunha-Gebirges gelangen. Der Reisende will nicht wieder von der Tageszeit, dem Licht und der Atmosphäre sprechen. Er bittet nur darum, das alles nicht zu vergessen, während er die steilen Wege hinauffährt, vorbei an einfachen Bauernhäusern und anderen, die wiederum Paläste sind, so wie dieses hier aus dem 17. Jahrhundert, mit seinem Vorplatz, der Veranda, dem niedrigen Toreingang, ein harmonischeres Bauwerk ist kaum denkbar. Es bleiben das Licht und die Zeit, die stehengeblieben zu sein scheinen, als der Reisende nach Castelo Novo kommt.
    Das hier ist das Rathaus, ein romanisches Gebäude aus der Zeit Dom Dinis’. Der Reisende will gerade gegen den Brunnen wettern, den man Dom João V. zu Ehren dort aufgestellt hat, aber dann ändert er seine Meinung, als er feststellt, wie das Barocke in das Romanische integriert wurde oder sich ihm unterworfen hat, das Romanische war ja schließlich auch zuerst da. Zusammen mit dem manuelinischen Pranger haben wir drei Epochen versammelt: das 13., das 16. und das 18. Jahrhundert. Diese Männer wussten, wie man mit Stein arbeitet und wie man mit dem Raum umgeht, egal auf welche Distanz: Wäre das nicht der Fall, dann stünden wir hier vor großen, unversöhnlichen architektonischen Konflikten.
    Der Reisende fragt eine alte Frau, die vor ihrer Haustür steht, wo die Weinpresse ist. Die Frau ist schwerhörig, aber sie versteht, wenn man laut spricht und sie dabei direkt ansieht. Als sie die Frage verstanden hat, lächelt sie, und der Reisende erschrickt, weil ihre Zähne falsch sind und das Lächeln trotzdem so echt und fröhlich ist, dass er sie am liebsten umarmen und bitten möchte, noch einmal zu lächeln. Sie beschreibt ihm den Weg, aber er muss sie falsch verstanden haben, denn er verläuft sich. Er fragt ein paar Jungen, sie wissen es nicht, so ist das bei der jungen Generation, sie beschäftigen sich mit anderen Dingen. Ein Stück weiter fragt er wieder, und man antwortet ihm: »Gehen Sie die Straße da runter, da ist ein Platz, an der Ecke ist ein Laden, dort können Sie fragen.« Der Reisende geht die Straße hinunter, kommt auf den Platz, geht zu dem Laden, sagt dem Verkäufer guten Tag und stellt seine Frage. Der Verkäufer ist ein kleiner Mann, mit kaum mehr Haaren als der Reisende, aber älter. Er kommt hinter seinem Tresen hervor, hilfsbereit, die Güte selbst, und beide gehen hinaus auf den Platz, reden über Castelo Novo, dem Mann steigen die Tränen in die Augen, als er von seiner Heimat spricht, und dann gehen sie eine Straße hinauf, und da ist gleich die Weinpresse, ein Wort hätte genügt, er hätte gar nicht aus dem Laden gehen müssen, aber so ist das hier, und so ist dieser Mann. Oben angekommen, sehen sie sich den nicht besonders tiefen Trog an, eine muschelförmige Vertiefung im nackten Fels, und der Mann erklärt ihm: »Früher hat man hier

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