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Die Portugiesische Reise (German Edition)

Die Portugiesische Reise (German Edition)

Titel: Die Portugiesische Reise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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die Trauben gekeltert, hier ist ein Loch, das führt zu dem Becken da unten.« Der Reisende stellt sich die Männer aus dem Ort vor, wie sie barfuß, die Hosen bis zu den Knien hochgekrempelt, in den Trauben stehen und mit den Frauen scherzen, die vorbeilaufen, mit der heiteren Unbekümmertheit, die der Wein bewirkt, auch wenn es nur Most ist. Wenn es in diesem Land noch so eine Kelter geben sollte, dann hat der Reisende noch nicht von ihr gehört, will es aber gern glauben: Der Tag ist fern, an dem wir alles kennen, was wir haben.
    Inzwischen hat sich der Reisende vorgestellt und sein Begleiter ebenfalls: José Pereira Duarte. Er hat helle Augen, ist ein feinsinniger Mensch, der liest. Er ist kleiner als der Reisende und sieht ihn an wie einen alten Freund, den er lange nicht gesehen hat, und es tue ihm furchtbar leid, dass seine Frau krank im Bett liege: »Sonst würde ich Sie gern für ein Stündchen zu mir nach Hause einladen.« Auch der Reisende wäre gern in Castelo Novo geblieben, aber es geht nicht. Gemeinsam steigen sie die Stufen hinunter, verabschieden sich auf dem Platz mit einer herzlichen Umarmung, die so echt ist wie das Lächeln der Alten, die vor ihrer Schwelle steht, als hätte sie auf ihn gewartet, um sich von ihm zu verabschieden. Das muss wieder ein Traum sein, so viel Güte kann es nicht geben: Wer es nicht glaubt, sollte nach Castelo Novo fahren.
    Nebel, grau auf grün, endlich klart es etwas auf. Als der Reisende die Straße nach Castelo Branco erreicht, wird es Abend. Jetzt braucht er kein Licht mehr.

»Hic est chorus«
    In Castelo Branco führen alle Wege zum Garten des Bischofspalastes. Der Reisende kann sich also gern noch etwas Zeit lassen, sich treiben lassen, zum Beispiel zur Burg, einer spärlichen Ruine, und dort die erste Enttäuschung erleben: Die Kirche Santa Maria ist geschlossen und eingezäunt, dort ruht der Dichter João Ruiz de Castelo Branco, dessen Statue unten am Largo do Município steht. Der Reisende, der oft solche sentimentalen Schwächen zeigt, wollte am Grabstein die wunderbaren Verse aufsagen, die seit dem 16. Jahrhundert, alle Zeit überdauernd, vom Trennungsschmerz der Liebenden erzählen: Geliebte, so traurig gehen / Meine Augen von Euch, mein Herz / So traurig habt Ihr nie gehen sehen / Andere von Euch voller Schmerz … An diesem sentimentalen Akt hindert ihn der dicke Drahtzaun, der die Kirche weiträumig umgibt. Offensichtlich wurden hier archäologische Funde gemacht, und während ausgegraben wird oder auch nicht ausgegraben wird, müssen die Besucher draußen bleiben. Dieser Draht hat keine Lücken wie der in Idanha-a-Velha, und selbst wenn, was hätte er davon, wo alle Türen doppelt und dreifach versiegelt sind.
    Der Reisende geht die Rua dos Peleteiros hinunter in die Altstadt, und um sich zu trösten, murmelt er: So müde, voller Tränen / Vor Trennung so krank / Dem Tode tausendmal näher / Als dem Leben im Dank . Es gibt literarische Karrieren, die auf einem schmalen Werk basieren, wie es der Fall bei João Ruiz (oder Rodrigues) de Castelo Branco ist, der, obwohl er für wenig mehr als diese erhabenen Verse verantwortlich zeichnet, nicht in Vergessenheit geraten wird, solange die portugiesische Sprache existiert. Ein Mann kommt auf die Welt, dreht ein, zwei Runden und geht wieder, aber das allein hat genügt, um einem Gefühl Ausdruck zu verleihen, das später ein kollektives Bewusstsein bestimmen wird.
    Inmitten dieser Gedanken findet sich der Reisende plötzlich vor der Kathedrale wieder, die nichts mit der ausdruckslosen Fassade anzufangen weiß, die man ihr verpasst hat. Drinnen sieht man, dass jene, deren Aufgabe es gewesen wäre, die dem heiligen Michael geweihte Kirche mit Kunst zu bereichern, sich nicht die größte Mühe gegeben haben: Hoffen wir, dass der Erzengel in seiner Großherzigkeit ihnen ihre Achtlosigkeit verzeiht. Hier wird noch viel Vergebung nötig sein, und auch der Bischof Dom Vicente war nicht frei von der Sünde des Hochmuts, als er über der Tür zur Sakristei sein Wappen anbringen ließ, welches, um es in wenigen Worten zu sagen, ein Irrsinn in Stein ist. Jesus hat als einziges Emblem ein schlichtes Kreuz, aber seine Bischöfe verstopfen den Himmel mit heraldischen Rätseln, an denen man bis in alle Ewigkeit zu knacken haben wird.
    Dieser Teil der Stadt ist so provinzlerisch, oder provinziell, um dem ersten Wort seinen abschätzigen Beigeschmack zu nehmen, dass sich der Reisende kaum vorstellen kann, in diesen Straßen und

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