Die Portugiesische Reise (German Edition)
weiter Erwähnung findet und dieses wunderbare, im alten Bischofspalast eingerichtete Museum ihn trägt. Der Reisende ist nicht unbedingt leicht zu verblüffen, er hat Reisen durch Europa unternommen, wo es wahrhaft Beeindruckendes zu sehen gibt, aber wenn er jetzt einen Blick auf sein Gefühlsbarometer wirft, kommt er zu dem Schluss, dass er verhext worden sein muss. Wie sonst ließe sich die Erregung erklären, die er auf seinem Gang durch die Räume des Museums verspürt, so weit entfernt von der Hauptstadt, wohl wissend, dass dieses hier nur ein kleines Provinzmuseum ist, ohne irgendwelche Meisterwerke, es sei denn das der Liebe, mit der die Objekte zusammengetragen und ausgestellt sind. Steine, Möbelstücke, Gemälde und Skulpturen, Ethnographisches, Altarschmuck – alles ordentlich und sinnvoll angeordnet. Hier »Der Gelbe Fels« von Dórdio Gomes, da die vortrefflichen Arbeiten von Abel Salazar, den einige Kritiker verächtlich einen Amateur nennen. Nur ungern verlässt der Reisende diesen Ort. Er geht, obwohl es noch regnet, in den Garten, wandert zwischen den Grabsteinen umher, atmet den Geruch von nassen Pflanzen und betrachtet schließlich versunken die »Granitsäue«, die so genannten berrões , phantastische Tiere, die, solange sie leben, hemmungslos fruchtbar Ferkelchen werfen, vierzehn Stück auf einmal, und sich, wenn sie tot sind, zu Schinken, Lenden, Rippchen, Schweinsohren, -füßen und -leder verarbeiten lassen, freigebig bis zum Schluss. Die unbehauenen Steine stammen ursprünglich angeblich aus prähistorischer Zeit. Das glaubt der Reisende gern. Für die Höhlenmenschen dürfte das Schwein das Meisterwerk der Schöpfung dargestellt haben. Vor allem die Sau, aus den oben genannten Gründen. Auch als man im Mittelalter in den Städten Pranger aufstellte, stellte man sie auf ein Schwein, ein Tier, das als Beschützer, Sinnbild und manchmal auch Wächter galt. Nicht immer sind die Menschen undankbar.
Der Reisende geht hinaus in den Regen. Er will das Gesehene nicht vergessen, die Deckenmalereien, die typischen Trachten von Miranda, die Metallarbeiten, all diese Dinge, aber er weiß, dass sie bald von anderen Erinnerungen verdrängt sein werden, das ist das traurige Los eines jeden Reisenden. Woran er sich jedoch sein Leben lang erinnern wird, ist diese gotische Skulptur aus dem 16. Jahrhundert, eine Jungfrau mit Kind , mit einem Gewand, das eine reine Pracht ist, auf der Hüfte durchzogen von einer gewundenen Linie, die sich in dem ovalen, flämisch anmutenden Gesicht fortsetzt. Und da der Reisende einen besonderen Blick für Kontraste und Widersprüche hat, vergleicht er, während er durch den Regen geht, in Gedanken das Gemälde von Roeland Jacobsz, das Orpheus zeigt, wie er mit der Musik seiner Harfe die wilden Bestien bändigt, mit dem eines anonymen Malers aus dem 16. Jahrhundert, auf dem der heilige Ignatius von den Löwen verschlungen wird. Die Musik hat geschafft, wozu der Glaube nicht in der Lage war. Dass es ein goldenes Zeitalter gab, daran besteht kein Zweifel, denkt er.
Der Reisende ist so vertieft in seine Gedanken, dass er gar nicht bemerkt hat, dass es nicht mehr regnet. Er muss ein merkwürdiges Bild abgegeben haben mit seinem aufgespannten Regenschirm; das passiert jedem mal, und dann schmunzelt man darüber. Der Reisende geht zur Burg, die schmalen, nach alter Tradition gepflasterten, kleinen Straßen hinauf, sieht sich den pelourinho an, oben das Kreuz und unten das Schwein, und geht einmal um den Domus Municipalis herum, der eigentlich geöffnet sein sollte, es aber nicht ist. Auf Fotografien würde man ihn für rechteckig halten, und so ist der Reisende überrascht, fünf verschieden lange Seiten zu sehen, so hätte ihn nicht einmal ein Kind gezeichnet. Welche Gründe zu diesem Umriss führten, ist nicht bekannt, jedenfalls dem Reisenden nicht. Sehr viel mehr als die Frage, ob das Bauwerk römischer oder griechischer Herkunft ist oder ob es vielleicht doch nur aus dem Mittelalter stammt, beschäftigt den Reisenden dieses krumme Fünfeck, für das er einfach keine Erklärung findet.
Von der Kirche Santa Maria do Castelo braucht der Reisende nur das Portal zu sehen, und da er keinen großen Sinn für die Üppigkeit des Barock hat, verschwendet er mehr Aufmerksamkeit an die Körnung des Granits als an die Trauben und Blätter, die sich an den gewundenen Säulen entlangschlängeln. Später wird er das Gesagte zurücknehmen und die besonderen Verdienste des Barock anerkennen
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